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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Simeon oft darüber nachgrübelte, warum Gott dem Teufel solche Gewalt über ihn gegeben hatte. Strafte Gott die Sünden seines Vaters an ihm? Oder seine eigenen? Glücklicherweise war der Blumen liebende Pfarrer für einen Kalvinisten sehr milde gesinnt gewesen, er hatte den Kranken oft getröstet, und Anna Lisa war froh, dass er seine Predigt unter den Bibelvers gestellt hatte: »Ein Gerechter muss viel leiden.«
    Ja, dachte sie, ihr längst verstorbenes Kindermädchen Elsa hatte von Anfang an recht gehabt: Simeon war ein guter Mann gewesen, bereit, seiner untreuen Frau zu vergeben und das Kind seines Nebenbuhlers als sein eigenes anzuerkennen, geduldig in seiner Krankheit, liebevoll zu seiner Tochter, bei aller Schwäche bemüht, seine Frau glücklich zu machen.
    Sie weinte ein wenig, dann sagte sie sich, dass sie eigentlich froh sein sollte, dass sie immerhin so lange glücklich miteinander gewesen waren. Der Tod war unausweichlich, und Simeons Leben war oft eine körperliche und seelische Tortur gewesen.
    Dann wurde der Sarg in die Gruft hinuntergetragen, und Anna Lisa legte den Blumenstrauß aus roten Rosen auf den Deckel. Rote Rosen waren bei einem Begräbnis nicht üblich, aber die Anwesenden sollten sehen, dass sie einen geliebten Mann verabschiedete.
    Als die letzten Zeremonien vollzogen waren und der Kondukt zum Trauerhaus zurückkehrte, empfand sie eine innere Leere, aber auch Erleichterung. Ein Teil ihres Lebens war für immer abgeschlossen. Sie erinnerte sich, wie sie vor dem rot lackierten, geschnitzten Tor von Buitenhus gestanden war, über dem die gelbe Pestflagge hing: Auch damals war der Weg, den sie als den ihren betrachtet hatte, unversehens zur Sackgasse geworden. Und dann, als sie in Java eben heimisch geworden war, hatte der Ausbruch des Krakatau wieder alles verändert. Jetzt stand sie neuerlich am Ende eines Weges. Was die Zukunft bringen mochte, darüber machte sie sich keine Gedanken. Vielleicht würde sie die Villa verkaufen. Das Haus war zu groß für sie allein. Simone hatte sie bereits darauf angesprochen, dass sie ins Internat der Englischen Fräulein wollte, um sich auf den Besuch des Frauencollege in London vorzubereiten – Preußen war ja, neben Österreich, das letzte Land Europas, das den Frauen den Zugang zu höheren Studien verwehrte, also musste sie ins Ausland.
    Anna Lisa hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die Erlaubnis so bereitwillig, ja übereifrig erteilt hatte. Sie war im Grunde ebenso froh, das Mädchen loszuwerden, wie Simone es nicht erwarten konnte, das vaterlose Haus zu verlassen.
    Und dann?
    Gesine und Pahti würden bei ihr bleiben, das war gewiss. Ansonsten stand die Zukunft als ein einziges Fragezeichen vor ihr.

Ein unerwartetes Angebot
    E in halbes Jahr nach dem Begräbnis bat Elmer Lobrecht seine Tochter zu sich. Sie merkte sofort, dass er ein ernstes und schwerwiegendes Gespräch mit ihr zu führen gedachte, denn er rief sie in sein Arbeitszimmer, wohin er sonst nur Geschäftskunden einlud.
    »Setz dich«, bot er ihr an. Er selber nahm jedoch nicht in dem mächtigen ledergepolsterten Stuhl hinter seinem Schreibtisch Platz, sondern schritt auf und ab, ein Zeichen, dass ihm das Thema des Gesprächs unangenehm war. Anna Lisa schloss daraus, dass es sich um etwas handelte, bei dem er einen Gefühlsausbruch ihrerseits erwartete. Er brauchte ein ganzes Glas Cognac und eine Zigarre, ehe er sich dazu durchrang, die Karten auf den Tisch zu legen.
    »Du weißt«, sagte er, »es ist nicht meine Art, um den heißen Brei herumzureden; ich bin ein grader Michel, also nimm es mir nicht übel, wenn ich deine Gefühle verletze.«
    Sie blickte ihn mit müden Augen an. »Was hast du mir Schreckliches zu sagen?«
    »Nichts Schreckliches, nein, ich bitte dich! Nur … ihr Frauen seid eben anders als Männer, und ich weiß, dass du Simeon sehr gern hattest. Aber …« – er paffte so heftig an seiner Zigarre, dass sein Gesicht hinter Rauchschwaden verschwand – »… du bist erst zweiunddreißig Jahre alt. Das ist sehr jung für eine Witwe mit zwei Kindern. Und vor diesem Hintergrund … also, unter diesen Umständen … finde ich es bedenkenswert, dass jemand bei mir nachgefragt hat, ob du … Ich meine, du kannst ja nicht ewig trauern.«
    »Und wer ist dieser Jemand?«, fragte Anna Lisa. Ihre Stimme verriet ein sehr mäßiges Interesse. Natürlich gab es genug Männer, zumeist selbst schon verwitwet, die einer zweiten Ehe mit einer immer noch attraktiven und vor

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