Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
unser Bauchgefühl darüber sagt. Und das wecken wir am besten mit ein paar Geschichten aus dem wahren Leben. Empfehlenswert ist zum Beispiel das Buch Die Sinnkrise der Mittzwanziger von Alexandra Robbins und Abby Wilner, ein Ode an die Unzufriedenheit der jungen Generation. 12 Dutzende unglückliche Mittzwanziger schildern darin, weshalb sie sich in der Arbeitswelt so hilf- und haltlos fühlen. Bemerkenswert ist die Geschichte | 38 | des 27-jährigen Scott aus Washington, D. C., der über seinen Job sagt, dass es im Grunde nicht besser hätte laufen können. Er habe eine Karriere eingeschlagen, von der er tief in seinem Inneren wusste, dass es genau das Richtige für ihn sei, und zwar in der Politik. Ihm gefalle sein Büro, er verstehe sich gut mit seinen Kollegen, und er möge sogar seinen Vorgesetzten. Doch weil Scott die Leidenschaftstheorie richtiggehend verinnerlicht hat, beginnen Zweifel an ihm zu nagen: Ist sein perfekter Job auch wirklich perfekt genug? Füllt ihn seine Tätigkeit aus? Diese Gedanken schwirren durch seinen Kopf, als er sich bewusst macht, dass auch er – wie so viele andere Führungskräfte – immer wieder schwierige Entscheidungen treffen muss. Deshalb befindet sich Scott erneut auf der Suche nach seinem Traumjob und begründet das damit, dass er sich sich selbst gegenüber verpflichtet fühle, weitere, für ihn interessante Optionen auszuloten. Andererseits gibt er zu bedenken, dass er sich schon allein mit der Vorstellung schwertut, sein berufliches Glück zu finden, weil er nicht recht weiß, wo er es finden könnte.
Jill, eine seiner Altersgenossinnen (oder sollte ich besser sagen Leidensgenossinnen?), berichtete, sie hätte nach dem Collegeabschluss nur ein Ziel verfolgt: den ultimativen Traumjob zu finden. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass keiner ihrer »Praxistests« dieser hohen Anforderung genügen konnte.
Die 25-jährige Elain gesteht verzweifelt, dass sie keine Ahnung hätte, was ihr Spaß machen könnte, und dass ihr deshalb auch nicht klar sei, worauf sie verzichtet, wenn sie alle möglichen Angebote ausschlage.
Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Schlimm ist, dass diese Geschichten von Collegestudenten bis zu den Absolventen alle nur einen Schluss zulassen: Die Leidenschaftstheorie ist nicht nur falsch, sondern auch brandgefährlich.
Wer seinen Mitmenschen den Rat gibt, sie mögen »ihrer Leidenschaft folgen«, muss sich nicht nur den Vorwurf des unschuldigen Optimismus gefallen lassen, sondern den, dass er möglicherweise den Grundstein für eine Karriere gelegt hat, in der Verwirrung und Angst eine Hauptrolle spielen. | 39 |
Mehr als Leidenschaft
Ich möchte noch einen mir wichtigen Punkt klarstellen: Es gibt Menschen, bei denen die Leidenschaftstheorie funktioniert hat. In dem Archiv von Roadtrip Nation befindet sich der Mitschnitt eines Interviews mit dem Filmkritiker Peter Travers, der für das Magazin Rolling Stone arbeitet. Er sagt, er hätte schon als Kind immer einen Block mit ins Kino genommen, weil er sich schon während des Films seine Gedanken dazu notieren wollte. 13 Vor allem, wenn ein bestimmtes Talent ausschlaggebend für die Berufswahl ist, ist nichts falsch daran, seiner Leidenschaft zu folgen. Denken Sie nur mal an die ganzen Profisportler. Können Sie sich vorstellen, dass es einen professionellen Baseballspieler gibt, der etwas anderes sagen würde als dass er, seit er laufen kann, leidenschaftlich gerne Baseball spielt?
Als ich an diesem Buch arbeitete, habe ich natürlich auch mit Freunden und Bekannten darüber gesprochen. Nicht wenige haben versucht, mich von meiner Ablehnung der Leidenschaftstheorie abzubringen, meist mit Argumenten wie: »Aber ich kenne doch jemanden, der seiner Leidenschaft gefolgt ist und durchaus Erfolg damit hatte. Das ist doch der Beweis, dass dieser Rat funktioniert!« Doch mit dieser Logik stimmt etwas nicht. Die Tatsache, dass sich eine bestimmte Strategie in einigen Fällen als erfolgreich erwiesen hat, heißt noch lange nicht, dass sie Allgemeingültigkeit besitzt. Vielmehr müssen viele solcher Beispiele herangezogen werden, um die Frage zu klären, was im Durchschnitt dabei herausgekommen ist. Genau so bin ich nämlich vorgegangen: Ich habe eine große Gruppe von Leuten befragt, die alle ihren Job liebten. Die meisten von ihnen haben mir daraufhin eine Geschichte erzählt, die wesentlich mehr erfordert, als sich klarzumachen, was man gern tut, und dann dieser Leidenschaft zu folgen. Beispiele
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