Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
nichts anderes als eine Ansammlung von Tipps für all diejenigen, deren berufliche Laufbahn sich ändern sollte. Die Erstauflage umfasste lediglich 100 Bücher.
Die Botschaft in Bolles’ Ratgebern kommt uns heute ziemlich vertraut und selbstverständlich vor. Er schreibt in What Happened to Your Parachute? sinngemäß, man solle herausfinden, was einem Spaß macht, und sich dann auf die Suche nach einem Arbeitgeber machen, der genau solche Leute braucht. In den 1970er Jahren war das natürlich eine radikale Aufforderung. Bolles schreibt weiter, dass die Vorstellung, eine erfolgreiche Karriere hinge von ein paar Einstellungstests ab, mehr als lächerlich sei. 9 Der in Bolles’ Ansatz versteckte Optimismus spricht für sich: Schließlich ist jeder selbst für sein Leben verantwortlich, was spricht also dagegen, genau das zu tun, was man gerne tut? Bolles’ Buch hat mittlerweile eine Auflage von sechs Millionen Exemplaren erreicht.
Seit der Erstauflage von Durchstarten zum Traumjob sind gut 40 Jahre vergangen, und in all den Jahren hat die Leidenschaftstheorie immer mehr an Beliebtheit gewonnen. Bolles | 36 | Bestseller hat dazu beigetragen, dass die Babyboomer die Leidenschaftstheorie als die einzig wahre (v)erkannt und sie auch noch an die nachfolgende Generation weitergegeben haben, die wiederum die Latte noch höher gelegt hat. Diese junge Generation besitzt eine »hohe Erwartungshaltung an die Arbeit«, erklärt der Psychologe Jeffrey Arnett, der als Experte für die Geisteshaltung der jungen Akademiker gilt. »Für sie soll Arbeit nicht bloß ein Job, sondern zugleich auch ein Abenteuer sein [,] … ein Ort der Selbstverwirklichung und des persönlichen Wachstums [,] … und als I-Tüpfelchen dann zutiefste Zufriedenheit, weil der Job genau auf die eigenen Talente zugeschnitten ist.« 10
Selbst wenn Sie sich meiner Argumentation anschließen, dass die Leidenschaftstheorie ihre Mängel hat, könnten Sie jetzt einwenden: »Und wenn schon, wen kümmert’s?« Und dann entgegnen Sie mir, dass diese Theorie allein schon dann ihre Daseinsberechtigung hat, wenn sie auch nur ein paar Leute dazu bringt, ihren öden Job zu kündigen oder sich auf ein Experiment einzulassen, was ihre Karriere anbelangt. Die Tatsache, dass sie in weiten Kreisen bekannt ist, sollte doch kein Grund zur Beunruhigung sein.
Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Je intensiver ich mich mit diesem Thema befasst habe, umso öfter habe ich festgestellt, dass diese Theorie die Menschen dazu verleitet zu glauben, irgendwo »da draußen« warte ihr Traumjob auf sie. Und sobald sie ihn gefunden hätten, würden sie sofort mit hundertprozentiger Sicherheit spüren, dass sie endlich ihre | 37 | wahre Berufung gefunden haben. Das Problem dabei liegt auf der Hand: Stellt sich dieses Gefühl wider Erwarten nicht ein, kann das üble Folgen haben wie chronischer Arbeitsplatzwechsel und nagende Selbstzweifel.
Dieser Effekt macht sich auch in den Statistiken bemerkbar. Wie bereits erwähnt hat die Leidenschaftstheorie nach Bolles in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Vertreter gefunden. Das Schlimme daran ist, dass wir kein bisschen glücklicher geworden sind, obwohl wir uns doch solche Mühe geben, unseren Traumjob zu finden. Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Conference Board 2010 sind nur 45 Prozent aller US-amerikanischen Arbeitnehmer mit ihrem Job zufrieden. Seit der ersten Erhebung zu diesem Thema sank dieser Wert von 61 Prozent im Jahr 1987 kontinuierlich. Lynn Franco, Leiter des Instituts, macht nicht nur die Wirtschaftslage dafür verantwortlich: »Sowohl während der Rezession als auch während des wirtschaftlichen Aufschwungs sinkt die Zufriedenheit im Job ständig.« Von den jungen Leuten, für die ein toller Job mit das Wichtigste in ihrem Leben ist, sind 64 Prozent unglücklich mit ihrer Stelle, womit der schlechteste Wert seit den mehr als 20 Jahren, in denen diese Umfrage nun durchgeführt wird, ermittelt wurde. 11 Anders ausgedrückt, kann unser seit Generationen im Zusammenhang mit der Leidenschaftstheorie durchgeführtes Experiment als absoluter Reinfall bezeichnet werden: Je verbissener wir unseren Traumjob finden wollen, umso weniger Spaß macht er uns dann.
Keine Frage, diese Statistiken sind nicht der Wahrheit letzter Schluss, denn für die Unzufriedenheit mit dem Job sind noch weitere Faktoren von Bedeutung. Vielleicht sollten wir mal die rationalen Argumente beiseite lassen und darauf achten, was uns
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