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Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt

Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt

Titel: Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campus
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in Schweigen.
    »Das war doch irre!«, ließ ich nicht locker. »Er hat dich ausgewählt. Und das bei der riesigen Auswahl an Gitarrespielern, die alle darauf brannten, mit ihm auf Tournee zu gehen. Doch er wollte dich, einen 16-Jährigen!« | 46 |
    »Darauf bilde ich mir wirklich nichts ein«, meinte Jordan schließlich.
    Es gibt für ihn wirklich nur eine Sache, die sein Herz höher schlagen lässt: die Musik. Auf meine Frage »Woran arbeitest du heute?« strahlten seine Augen, und er griff nach dem Notenheft, das offen auf seinem Schreibtisch lag. Für mich waren das in Bleistift hingekritzelte Noten – überwiegend Viertelnoten verteilt über die ganze Oktave – und am Rand die obligatorischen Kommentare. »Ich arbeite an einem neuen Stück«, erklärte er mir. »Das wird verdammt schnell!«
    Jordan griff nach seiner Gitarre und spielte es mir vor. Der Beat klang ganz nach Bluegrass, aber die Melodie war von einer Komposition von Debussy inspiriert und war etwas ganz anderes als man üblicherweise in diesem Genre erwartet. Während des Spiels blickte Jordan auf einen Punkt oberhalb des Griffbretts und schnappte nur hin und wieder heftig nach Luft. Einmal traf er nicht den richtigen Ton, was ihn offensichtlich auf die Palme brachte. Er holte tief Luft und begann von vorne, und zwar so oft, bis er dieses Zwischenstück fehlerfrei spielen konnte.
    Als ich ihm sagte, dass ich beeindruckt von seiner Spieltechnik, speziell von der Schnelligkeit seiner Licks, wäre, meinte er nur: »Nein, nein, die sind doch echt langsam.« Dann zeigte er mir, was er zurzeit einübte. Unglaublich, das war ja mindestens doppelt so schnell! »Das Lead Trail habe ich noch nicht drauf«, meinte er nach ein paar Griffen entschuldigend. »Aber irgendwann schaffe ich das schon noch. Nur im Augenblick bringe ich die Töne noch nicht so zustande, wie ich das gerne hätte.« Er zeigte mir, dass sich die aufeinanderfolgenden Noten im Lead über mehrere Saiten erstrecken, sodass es fast unmöglich ist, sie zu spielen. »Das erschwert das Zupfen unheimlich.«
    Auf meine Bitte hin zeigte mir Jordan, wie er diesen Song einübt. Zunächst spielt er das Stück so langsam, dass sich der gewünschte Effekt einstellt: Das Leitmotiv soll zu hören sein, während er seine Finger schnell über das Griffbrett gleiten lässt, um die Stücke dazwischen einzuüben. Dann steigert er die Geschwindigkeit, sodass er sein persönliches Können ein winziges | 47 | Stück überschreitet. Dann übt er dieses Stück des Songs wieder und wieder ein, bis es sitzt, und dann wird er wieder etwas schneller und so weiter. »Dabei werden Geist und Fingerfertigkeit trainiert. Schließlich muss ich die Noten auswendig spielen können und verschiedene Melodien und Rhythmen beherrschen. Beim Klavier ist das anders, da können sich die Finger beim Spielen nicht ineinander verhaken, bei der Gitarre schon. Da muss man höllisch aufpassen, die Spielzeit muss quasi für jeden Finger eingeteilt werden.«
    Jordan hat seine Arbeit an diesem Stück als »Fokus auf der Spieltechnik« bezeichnet. Auch wenn er sich nicht gerade auf einen Gig vorbereitet, übt er mit derselben Intensität und spielt immer etwas schneller, als er eigentlich kann – und das zwei bis drei Stunden ohne Pause. Als ich ihn fragte, wie lange es dauern würde, bis er das neue Stück beherrschte, lautete seine Antwort: »Wahrscheinlich einen Monat.« Und dann spielte er denselben Lick noch einmal.
Die leistungsorientierte Einstellung zur Arbeit
    Ich möchte jetzt etwas klarstellen: Mir ist es im Grunde genommen egal, ob Jordan Tice seine Musik liebt oder nicht. Ebenso egal ist mir, weshalb er beschlossen hat, Musiker zu werden oder ob für ihn Gitarrespielen seine »Leidenschaft« ist. Karrieren in der Musikbranche haben ihren eigenen Verlauf, oftmals ist der Erfolg eines Musikers auf ungewöhnliche Umstände oder glückliche Zufälle zurückzuführen. (Die Tatsache, dass Jordans Eltern beide Bluegrass-Musiker sind, hat vermutlich eine große Rolle dabei gespielt, dass Jordan schon von Kindesbeinen an das Gitarrespielen gelernt hat.)
    Aus diesem Grund bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Beweggründe eines Musikers keinerlei Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich die »Normalsterblichen« bei der Berufswahl verhalten sollten. Was mich an Jordon interessiert, ist jedoch, wie er | 48 | täglich arbeitet. Und damit wären wir am springenden Punkt angekommen, denn seine Arbeitsweise hat mir bei meiner Suche nach

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