Die Treibjagd
ein weißes Gesicht, mit dem korrekten Backenbart eines Engländers und der ernsten, würdevollen Miene einer Gerichtsperson.
»Baptiste,« sprach die junge Frau zu ihm; »ist mein Gemahl zu Hause?«
»Ja, Madame; er kleidet sich an,« erwiderte der Bediente mit einem Neigen des Kopfes, um welches ein Fürst, der die Menge grüßt, ihn hätte beneiden können.
Langsam stieg Renée die Treppe hinauf, während sie ihre Handschuhe auszog.
Im Vestibüle herrschte große Pracht. Beim Eintreten in dasselbe empfand man ein leichtes Gefühl der Dämpfung. Die dicken Teppiche, welche den Boden bedeckten und sich über die Stufen legten, die schweren Tapeten aus rothem Sammt, die Thüren und Wände verhüllten, verliehen der Atmosphäre etwas Dumpfes, die schwüle Stille einer Kapelle. Aus der Höhe senkten sich Draperien herab und die sehr hohe Decke war mit vorspringenden Rosetten geschmückt, die auf einem Geflecht von Goldstäben saßen.
Die Treppe, deren doppelte Marmorballustrade mit rothem Sammt überzogen war, theilte sich in zwei leicht geschweifte Arme; zwischen welchen sich die Thür des großen Salons befand. Auf dem ersten Treppenabsatz bedeckte ein mächtiger Spiegel die ganze Wand. Am Fuße der beiden Treppenarme erhoben sich auf Marmorsockeln zwei Frauen aus Goldbronze, die nackt bis zu den Hüften, große Kandelaber mit fünf Flammen trugen, deren helles Licht durch matte Glaskugeln gedämpft wurde. Und zu beiden Seiten reihten sich herrliche Majolikagefäße, in welchen kostbare exotische Gewächse blühten.
Mit jeder Stufe, die Renée emporstieg, wurde ihr Spiegelbild größer und von den Zweifeln bewegt, welche die am meisten bewunderten Künstlerinnen beschleichen, fragte sie sich, ob sie wirklich so reizend sei, wie man ihr sagte.
In ihrem Appartement angelangt, welches im ersten Stock lag und dessen Fenster auf den Park Monceaux gingen, klingelte sie ihrer Kammerfrau Céleste und ließ sich zum Diner ankleiden. Dies währte gute fünf Viertelstunden. Nachdem auch die letzte Stecknadel angebracht worden, öffnete sie, da es in dem Zimmer zu heiß war, ein Fenster, lehnte sich hinaus und versank in tiefes Sinnen. Hinter ihr bewegte sich Céleste geräuschlos hin und her, mit dem Forträumen der verschiedenen Toilettegegenstände beschäftigt.
Unten im Park herrschte tiefstes Dunkel. Die schwarzen Massen des Laubes, durch die zeitweilig ein Windstoß fuhr, rauschten geheimnißvoll mit dem Rascheln der dürren Blätter, welche an das Verspritzen der Wogen an einem kiesigen Strande erinnern. Nur die zwei gelben Laternen eines Wagens, der durch die von der Avenue de la Reine-Hortense nach dem Boulevard Malesherbes führende lange Allee rollte, unterbrachen mitunter die Finsterniß. Angesichts dieser herbstlichen Melancholie fühlte Renée all' die Bitterniß und Trauer ihres Herzens mit einem Male neuerdings erwachen. Sie sah sich wieder als Kind in dem Hause ihres Vaters, in diesem stillen Hotel der Insel Saint-Louis, in welchem die Béraud du Chàtels seit zwei Jahrhunderten ihre steife Richterwürde behaupteten. Sodann dachte sie an den Zauberschlag ihrer Verheirathung, an diesen Wittwer, der sich verkauft hatte, um sie heirathen zu können und der seinen Namen Rougon gegen Saccard vertauschte, gegen diesen Namen, dessen zwei trockenen Silben mit der Brutalität zweier Reichen, die Gold zusammenraffen, an ihr Ohr geschlagen hatten, als sie dieselben zum ersten Mal vernahm. Er nahm sie an sich und schleuderte sie in dieses aufreibende Leben, welches ihren armen Kopf mit jedem Tage mehr zerrüttete. Darauf dachte sie mit kindlicher Freude an die schönen Spiele, die sie einst mit ihrer jüngeren Schwester Christine gespielt. Und eines Morgens wird sie ja doch aus diesem Traume erwachen, welchen sie seit zehn Jahren träumt, beschmutzt, besudelt durch eine Spekulation ihres Gatten, welche ihm selbst noch den Untergang bringen wird. Es war das gleichsam ein flüchtiges Vorgefühl. Lauter wehklagten unten die Bäume. Verwirrt durch diese Gedanken der Schmach und Buße, gab Renée dem Instinkte der ursprünglichen und ehrbaren Bürgerin nach, der in ihr schlummerte und sie versprach der schwarzen Nacht, in sich zu gehen, nicht mehr so viel auf ihre Toilette zu vergeuden und nach einem unschuldigen Spiel zu suchen, welches sie zerstreuen könnte, gleichwie in den glücklichen Zeiten des Pensionats, als die Schülerinnen auf ihren unter der Obhut der Lehrerinnen unternommenen Spaziergängen sangen: »Wir
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