Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
Lokalblatt, also werde ich nicht so tun, als verstünde ich, wie ein kreativer Geist tickt«, erwiderte Earl, »aber meinen Sie damit, Sie schreiben ein Buch über die Dentmans?«
»Nicht direkt. Es ist schwer zu erklären.« Kurzzeitig fühlte ich mich versucht, ihm von Kyle zu erzählen – was mich zutiefst entsetzte, denn nicht einmal Jodie kannte die Wahrheit, und diesen Mann hatte ich gerade erst kennengelernt –, wich dann aber aus. »So hat es begonnen, die Story wuchs weiter. Die Charaktere entwickelten aufgrund der Parameter, die ich vorgab, ein Eigenleben. Aber jetzt …« Meine Stimme versiegte, denn ich wusste nicht, wie ich den Gedankengang zu Ende formulieren sollte.
»Das Folgende basiert auf einer wahren Begebenheit«, sagte Earl glucksend. »Lediglich die Namen der Beteiligten wurden verändert, um Unschuldige zu schützen und so weiter …«
»Genau«, stimmte ich zu, aber ich fühlte mich, als würde ich diesen alten Mann an der Nase herumführen. Ich hatte keinen einzigen Namen geändert; in meinem Text wimmelte es von den rechtschaffenen Bürgern aus Westlake, Maryland. Nicht einmal Tooey Jones und sein Tonic blieb unerwähnt.
Earl atmete geräuschvoll aus, wobei seine Nasenlöcher vibrierten. »Vorab möchte ich Ihnen noch etwas zeigen.« Er schlurfte hinüber zu einer Anrichte, die unter Papierstößen und ungeöffneter Post zusammenzubrechen drohte. Summend sortierte er einen Stapel, während er mir den Rücken zukehrte.
Ich begann, einen irischen Wolfshund, der mir neben der Kredenz auffiel, zu begutachten, er war noch struppiger als der Teppich und fast so groß wie ein Mensch. Unter den Fransen blickten mich zwei seelenvolle Augen an. Irgendwo im Schatten begann ein Heizlüfter surrend, seinen Dienst zu verrichten.
»Ah, da ist es ja.« Earl kam zurück an den Tisch. Das Geräusch, das er machte, als er sich wieder auf den Stuhl fallen ließ, klang nach einer alten Fahrradhupe.
Er überreichte mir ein grobkörniges Foto eines Mannes mit abgeschnittener Jeans und Trägerhemd, der gerade mit einem Waschlappen über die Windschutzscheibe eines gelben Pontiac Firebirds wischte. Er mochte Mitte vierzig sein, allerdings war das Bild unscharf, was eine stichhaltige Einschätzung unmöglich machte.
»Wer ist das?«, fragte ich.
»Mein Sohn.«
Ich hatte keine Ahnung, wohin das führen sollte, also schob ich ihm das Foto wieder zu, ohne mehr zu sagen.
»Aus einer unvorsichtigen Affäre in meiner Jugend«, erklärte Earl, indem er es an sich nahm und es betrachtete, mit einer Mischung aus Sehnsucht und Bedauern, wie mir schien. »Es weiter zu erläutern, ist müßig, aber ich musste es Ihnen einfach zeigen, weil Sie mich, warum auch immer, an ihn erinnern. Nicht weil Sie ihm irgendwie ähneln, und wenn ich vollkommen ehrlich sein soll, habe ich niemals Zeit mit dem Jungen verbracht, weshalb ich auch nicht sagen kann, ob Sie beide gewisse Eigenarten teilen. Ich schätze, Sie sind so, wie ich mir ihn bisweilen vorstelle.« Er legte das Foto zurück zu den Papieren auf der Anrichte. »Tut mir leid.«
»Es ist okay«, beruhigte ich ihn, obwohl mir nach wie vor nicht einleuchtete, warum er mir das Bild gezeigt hatte.
»So will ich auf indirektem Wege begreiflich machen, weshalb ich Ihnen alles Weitere zeigen werde. Irgendwie fühle ich mich Ihnen wohl verbunden beziehungsweise vertraue darauf, dass Sie mich nicht ausnutzen. Schön und gut, wenn Sie behaupten, Sie schreiben ein neues Buch, aber was ich Ihnen nun offenbare, darf niemand außerhalb dieser vier Wände erfahren.« Er hustete rasselnd in eine Faust und fuhr fort: »Gewiss, Sie sind ein Fremder für mich, aber etwas sagt mir, dass ich auf ihr Schweigen bauen kann. Vielleicht bin ich aber bloß ein alter Einfaltspinsel. Allerdings hat mich der Instinkt über all die Jahre hinweg nie getäuscht. Hoffentlich sind Sie nicht derjenige, der ihn widerlegt.«
»Ich schwöre«, versprach ich, »was Sie sagen, bleibt unter uns.«
Earl nahm sich die Mappe vor. »Es geht weniger darum als um die Umstände, wie ich darauf gestoßen bin.« Er zog das Verschlussband auf und öffnete sie. Ein Haufen bunter Blätter fiel heraus. Er überreichte mir einen Packen Papier, der mit einer Büroklammer zusammengehalten wurde.
Auf der ersten Seite fiel mir gleich David Dentmans Name ins Auge, dazu seine Adresse in West Cumberland sowie weitere Angaben zu seiner Person – Sozialversicherungsnummer, Telefonnummer, Geburtsdatum. »Was ist das
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