Die Abenteuer der Silvester-Nacht
E. T. A. Hoffmann
DIE ABENTEUER DER
SILVESTER-NACHT
eBOOK-Bibliothek
E. T. A. Hoffmann
DIE ABENTEUER DER
SILVESTER-NACHT
(1815)
eBOOK
ebook-bibliothek.org
BIBLIOTHEK
lit era scripta manet
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann
(24.01.1776 - 25.06.1822)
. Ausgabe, Dezember 2005
© eBOOK-Bibliothek 2005 für diese Ausgabe
. Die Geliebte
Ich hatte den Tod, den eiskalten Tod im Herzen, ja aus dem
Innersten, aus dem Herzen heraus stach es wie mit spitzigen
Eiszapfen in die glutdurchströmten Nerven. Wild rannte ich,
Hut und Mantel vergessend, hinaus in die finstre stürmische
Nacht! — Die Turmfahnen knarrten, es war, als rühre die Zeit
hörbar ihr ewiges furchtbares Räderwerk und gleich werde
das alte Jahr wie ein schweres Gewicht dumpf hinabrollen in
den dunkeln Abgrund. — Du weißt es ja, daß diese Zeit,
Weihnachten und Neujahr, die euch allen in solch heller herr-
licher Freudigkeit aufgeht, mich immer aus friedlicher Klause
hinauswirft auf ein wogendes, tosendes Meer. Weihnachten!
das sind Festtage, die mir in freundlichem Schimmer lange
entgegenleuchten. Ich kann es nicht erwarten — ich bin bes-
ser, kindlicher als das ganze Jahr über, keinen finstern, gehäs-
sigen Gedanken nährt die der wahren Himmelsfreude geöff-
nete Brust; ich bin wieder ein vor Lust jauchzender Knabe.
Aus dem bunten vergoldeten Schnitzwerk in den lichten
Christbuden lachen mich holde Engelgesichte an, und durch
das lärmende Gewühl auf den Straßen gehen, wie aus weiter
Ferne kommend, heilige Orgelklänge: „denn es ist uns ein
Kind geboren!“ — Aber nach dem Feste ist alles verhallt, erlo-
schen der Schimmer im trüben Dunkel. Immer mehr und
mehr Blüten fallen jedes Jahr verwelkt herab, ihr Keim erlosch
auf ewig, keine Frühlingssonne entzündet neues Leben in den
verdorrten Ästen. Das weiß ich recht gut, aber die feindliche
Macht rückt mir das, wenn das Jahr sich zu Ende neigt, mit
hämischer Schadenfreude unaufhörlich vor. „Siehe,“ lispelt’s
mir in die Ohren, „siehe, wieviel Freuden schieden in diesem
Jahr von dir, die nie wiederkehren, aber dafür bist du auch
klüger geworden und hältst überhaupt nicht mehr viel auf
schnöde Lustigkeit, sondern wirst immer mehr ein ernster
Mann — gänzlich ohne Freude.“ Für den Silvester-Abend
spart mir der Teufel jedesmal ein ganz besonderes Feststück
auf. Er weiß im richtigen Moment, recht furchtbar höhnend,
mit der scharfen Kralle in die Brust hineinzufahren und wei-
det sich an dem Herzblut, das ihr entquillt. Hilfe findet er
überall, sowie gestern der Justizrat ihm wacker zur Hand ging.
Bei dem (dem Justizrat, meine ich) gibt es am Silvester-Abend
immer große Gesellschaft, und dann will er zum lieben Neu-
jahr jedem eine besondere Freude bereiten, wobei er sich so
geschickt und täppisch anstellt, daß alles Lustige, was er müh-
sam ersonnen, untergeht in komischem Jammer. — Als ich
ins Vorzimmer trat, kam mir der Justizrat schnell entgegen,
meinen Eingang ins Heiligtum, aus dem Tee und feines Räu-
cherwerk herausdampfte, hindernd. Er sah überaus wohl-
gefällig und schlau aus, er lächelte mich ganz seltsam an,
sprechend: „Freundchen, Freundchen, etwas Köstliches war-
tet Ihrer im Zimmer — eine Überraschung sondergleichen
am lieben Silvester-Abend — erschrecken Sie nur nicht!“ —
Das fiel mir aufs Herz, düstre Ahnungen stiegen auf, und es
war mir ganz beklommen und ängstlich zumute. Die Türen
wurden geöffnet, rasch schritt ich vorwärts, ich trat hinein,
aus der Mitte der Damen auf dem Sofa strahlte mir ihre Ge-
stalt entgegen. Sie war es — Sie selbst, die ich seit Jahren nicht
gesehen, die seligsten Momente des Lebens blitzten in einem
mächtigen zündenden Strahl durch mein Innres — kein tö-
tender Verlust mehr — vernichtet der Gedanke des Schei-
dens! — Durch welchen wunderbaren Zufall sie hergekom-
men, welches Ereignis sie in die Gesellschaft des Justizrats,
von dem ich gar nicht wußte, daß er sie jemals gekannt, ge-
bracht, an das alles dachte ich nicht — ich hatte sie wieder! —
Regungslos, wie von einem Zauberschlag plötzlich getroffen,
mag ich dagestanden haben; der Justizrat stieß mich leise an:
„Nun, Freundchen — Freundchen?“ Mechanisch trat ich wei-
ter, aber nur sie sah ich, und der gepreßten Brust entflohen
mühsam die Worte: „Mein Gott — mein Gott, Julie hier?“ Ich
stand dicht am Teetisch, da erst wurde mich Julie
Weitere Kostenlose Bücher