Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
Dentman wurde ermordet.« Diesen Gedanken hegte ich bereits seit einer Weile, nicht bloß als Romanstoff, sondern auch mit Bezug auf den wirklichen Vorfall. Die Hinweise passten noch nicht so recht zusammen, um ein klares Bild zu zeichnen, aber was mich felsenfest davon überzeugte, war mein Besuch in West Cumberland, wo ich David Dentman von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat.
Überraschenderweise konnte Earl durchaus etwas mit meinem Verdacht anfangen – nein, er schien ihn sogar regelrecht zu teilen. »Schwebt Ihnen ein möglicher Täter vor?«
»Könnte jeder gewesen sein, schätze ich. Vielleicht ein Herumtreiber, der am Wasser auf den Jungen gestoßen ist, oder irgendwer, der ihn aus der Stadt kannte.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Nein, das glauben Sie nicht ernsthaft. Sagen Sie mir, was Sie wirklich denken.«
»Ich glaube, David Dentman hat es getan.« Ich fühlte mich fast wie im Beichtstuhl. »Wenn Sie mich fragen, hat sein Onkel ihn ermordet.«
Fast beiläufig fragte Earl: »Hätte er ein Motiv gehabt?«
»Gut möglich. Welches genau, weiß ich nicht, falls Sie das als Nächstes wissen wollen.« Mir war natürlich klar, dass Motive im wirklichen Leben nicht so klar umrissen waren wie in Büchern oder Filmen. Im wahren Leben richteten Menschen scheinbar grundlos Schreckliches an.
Jodie kehrte mit Kaffee und Schinken- und Käse-Sandwiches zurück.
Earl strahlte, als sei seine Flamme ins Zimmer getreten. »Vielen Dank, meine Liebe. Sie sind zu gut zu einem alten Tölpel wie mir, und wir kennen uns noch kaum.«
»Ich habe eine Schwäche für Tölpel«, entgegnete sie lächelnd, ehe sie eine meiner Locken um den Zeigefinger wickelte. »Fragen Sie mal meinen Mann.«
Nachdem Earl ein paar Schnappschüsse von mir gemacht hatte, die den Artikel begleiten sollten, drückte er Jodie väterlich mit einem Arm. Dann begleitete ich ihn zur Tür.
»Ich sage Ihnen Bescheid, wenn wir das Interview abdrucken.« Er zog seine Sheriff-Jacke an und trat auf die Veranda. Hinter der Gruppe Lärchen war der Himmel gesprenkelt, die Farbe stimmte mich sofort und aus unerfindlichem Grund melancholisch. »Und nochmals vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.«
»Nicht der Rede wert.«
»Das noch.« Als Earl eine meiner Hände nahm, kratzen seine rauen Finger wie Stachelfrüchte auf meiner Haut. Er ließ los, da hielt ich ein gefaltetes Blatt Papier fest. »Wenn Ihnen eine unordentliche Junggesellenwohnung und abgestandenes Bier nichts ausmachen, schauen Sie einfach mal vorbei, und ich zeige Ihnen ein paar Dinge, die Sie interessieren könnten.« Er zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und vergrub die Hände in den Taschen. »Ich kenne das Gefühl, nachts kein Auge zuzumachen, weil die Gedanken unaufhörlich kreisen.«
Das traf mich unvorbereitet.
»Passen Sie auf sich auf, Travis.«
Ich schaute ihm hinterher und blickte nicht auf den Zettel, den er mir untergeschoben hatte. Erst als sein Pick-up die Einfahrt verließ, faltete ich ihn auf. Es war seine Adresse, geschrieben in krakeligen Hieroglyphen, wie sie nur von einem alten Mann stammen konnten.
Kapitel 21
Earls Junggesellenwohnung erwies sich als Wohnwagen und sah verdächtig nach ausrangiertem Güterwaggon aus, auf dessen Dach mehrere Fernsehantennen emporragten, und obwohl es schon Mitte Januar war, hingen Weihnachtslichter herab. Ein paar alte verstreute Blechkisten rosteten auf der Wiese vor sich hin. Der Wagen stand auf einem bewaldeten Hügel am Ende der Old County Road, die streng genommen nicht mehr zu Westlake gehörte, auch wenn man die Laternen der Hauptstraße von seiner Tür aus noch sehr gut sah. Der Nachmittag war weit fortgeschritten, und das Interview bei mir zu Hause zwei Tage her. Die Temperatur sank, und am Horizont zeichnete sich ein gleichmäßiges Dunkelrot ab.
Als ich neben dem Wohnmobil vorfuhr, bellte auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ein schwarzer Hund wild. Er war an der Stoßstange eines altmodischen Chevrolets festgebunden, die jedoch nicht vertrauenerweckend aussah, um das Tier davon abzuhalten, sich loszureißen und mir an die Kehle zu springen. Oben in den Bergen heulte der Wind.
Earl kam vor die Tür, als ich aus dem Wagen stieg. Er trug ausgebleichte Jeans und ein aufgeknöpftes Flanellhemd sowie braune Waldarbeiterstiefel, alles sah zwei Nummern zu groß für ihn aus. Er hob eine
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