Die Trinity-Anomalie (German Edition)
einem Papierhandtuch abtrocknete, öffnete sich das Buch in seiner Hand.
Am Vorderdeckel klebte innen ein Umschlag. Darin lauter Fotos, Schnappschüsse von ihm selbst als Kind und seinem Onkel als jungem Mann. Beim Fischen an einem Fluss irgendwo in Mississippi … beim Sonnenbad auf dem Dach des Wohnmobils … mit Chili Dogs in der Hand im Varsity.
Daniel weinte.
Es war schon spät, als das Taxi ihn am Saint Sebastian’s Boys Athletic Club absetzte. Er schloss die Tür auf und lief schnurstracks zur Ausziehcouch im Büro.
Aber er konnte nicht schlafen. Er machte das Licht an und ging in das Zimmer, in dem Trinity geschlafen hatte.
Auf dem Feldbett lag die schusssichere Weste, die Trinity absichtlich nicht angelegt hatte, und niemand hatte etwas geahnt. Auf der Weste ein Stück Papier.
Daniel hob es auf und sah die Handschrift seines Onkels …
TESTAMENT VON REVEREND TIM TRINITY
(in New Orleans als Timothy Granger geboren)
Große Abschiedsreden sind nicht meine Stärke, deshalb werde ich mich so kurz wie möglich fassen. Ich weiß, viele halten mich für verrückt, aber ich erkläre hiermit, dass ich dies im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte schreibe.
Ich setzte meinen Neffen Daniel Byrne (Hi Danny!) als alleinigen Testamentsvollstrecker ein. Er wird dafür sorgen, dass alles richtig gemacht wird. In der Beziehung kann man sich auf ihn verlassen.
Also, ich habe eine Menge Geld. Wie viel, weiß ich nicht, da es in letzter Zeit so wahnsinnig schnell reingekommen ist. Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, waren es über hundertfünfzig Millionen Dollar (150 000 000 $).
Kaum zu glauben, so viele Nullen.
So soll das Geld verteilt werden:
Ein Drittel sollen die Kleinstädte bekommen, die ich jahrelang als Wanderprediger besucht habe (Danny weiß schon Bescheid).
Die Städte sollen es für alles verwenden, was sie so brauchen.
Fürs Gemeinwohl, wie es so schön heißt.
Die restlichen zwei Drittel sollen in den Wiederaufbau der Stadtteile von New Orleans fließen, die es am dringendsten nötig haben.
Das wär’s, Leute. Kurz und schmerzlos – wie versprochen.
So, jetzt muss ich meinem Schöpfer entgegentreten.
Es wird langsam Zeit.
Seid gut zueinander.
In Liebe,
Tim
EPILOG
New Orleans, vier Wochen später
Die Obduktion ergab, dass Tim Trinity einen Tumor von der Größe einer kleinen Quitte im Kopf hatte. Die Atheisten sagten, wegen des Tumors könne das Trinity-Phänomen nicht als Beweis für die Existenz eines Gottes gelten. Die Gläubigen meinten, der Tumor sei ein Werkzeug Gottes gewesen.
Aber da niemand erklären konnte, wie die Prophezeiungen zustande gekommen waren, glaubten die meisten weiter das, was sie schon immer geglaubt hatten, oder glaubten weiterhin nicht, was sie auch früher nicht geglaubt hatten.
Daniel trauerte noch immer, und er war dankbar dafür. Von allen Wundern, die er in den vergangenen zwei Monaten erlebt hatte, war das allergrößte wohl, dass er sich wieder mit seinem Onkel versöhnt hatte. Dies war ihm durch seine Trauer bewusst geworden, und der Schmerz, den der Verlust ihm verursachte, war allemal besser als die Leere, die er verspürt hatte, als sie zerstritten waren.
Er hatte das Gefühl, sich selbst wiedergefunden zu haben. Er fühlte sich zum ersten Mal wahrhaft selig.
Einmal pro Woche fuhr er nach Dulac, und bei seinem letzten Besuch konnte Pat zu Daniels Überraschung schon ohne Krücken laufen. Er hatte für die Sache sein Leben riskiert und murrte nicht einmal, als Daniel sich bei ihm bedankte.
Julia war in der Medienwelt zu einer richtigen Sensation geworden. Sie schrieb noch immer für die
Times-Picayune
, war aber auch häufig für gemeinsame Berichte mit CNN unterwegs. Daniel wohnte bei ihr – bis er eine eigene Wohnung fand, sagten beide –, aber sie war ohnehin die halbe Zeit auf Reisen.
Er vermisste sie, wenn sie nicht da war, aber er nahm es ihr nicht übel, dass sie die Chance nutzte. Als er sie die Woche zuvor zum Flughafen gefahren hatte, hatte sie gemeint, er solle langsam einmal aufhören, so zu tun, als suche er eine Wohnung. Die Zeichen standen also günstig für ihre aufkeimende Beziehung. Er hatte überhaupt nichts dagegen, die Wohnungssuche aufzugeben, und freute sich auf ihre Rückkehr an diesem Nachmittag.
Er saß auf der Veranda hinter Julias Haus in der Sonne und las einen Roman, als das Paket ankam. Er hörte die Klingel, ging zur Vordertür, gab dem FedEx-Fahrer seine Unterschrift und nahm
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