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Die Tuchhaendlerin von Koeln

Die Tuchhaendlerin von Koeln

Titel: Die Tuchhaendlerin von Koeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Kuhlbach-Fricke
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zögerlich das Guckloch, ehe sie mich einließ.
    »Irgend etwas ist passiert, aber ich weiß nicht, was«, flüsterte sie mir zu. »Wir sollen in der Küche warten, bis Engilradis uns ruft.«
    Das wunderte mich sehr. Ich kletterte die schmale Stiege empor und klopfte leise an der Kammertür, wo Engilradis etwa vierzig Jahre mit ihrem Fordolf geschlafen hatte. Keine
Antwort. Ich wollte schon wieder hinuntergehen, als ich aus Gertrudis’ Kammer einen Laut hörte. Ich klopfte leise auch dort und hörte Engilradis ungewohnt scharf rufen: »Ich habe doch gesagt, ihr sollt in der Küche bleiben!«
    Verblüfft blieb ich stehen, so hatte ich sie noch nie sprechen hören. Dann begriff ich, daß sie nicht mich gemeint hatte, und rief leise: »Engilradis, ich bin es, Sophia. Willst du mich nicht einlassen?«
    Da öffnete sie mir, umarmte mich und zog mich hinein. Sie machte die Tür wieder zu und schob den Riegel vor. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und schaute auf Gertrudis’ Bett. In den ersten Strahlen der Morgensonne tanzten kleine Stäubchen. Gertrudis lag ganz still und hatte die Augen geschlossen, ihre Lider schimmerten bläulich. Ich erschrak unsäglich und trat einen Schritt näher, da sah ich, daß sie ganz leicht atmete. Die Bettdecke war bis zu ihrem Kinn hochgezogen.
    »Was ist los?« fragte ich ganz hilflos.
    Engilradis trat zu ihrer Tochter und zog die Decke ein Stück herunter. Ich trat noch näher. Gertrudis’ Hals war blaurot, und ich hörte nun, daß ihr Atem mühsam ging. Noch immer verstand ich nicht, was hier vorgefallen war, und schaute Engilradis ratlos an. Sie deutete stumm mit der Hand in eine Ecke, und da lagen zwei Stücke von einem Seil. Jetzt begriff ich.
    »Mein Gott«, murmelte ich entsetzt.
    »Ich habe heute nacht nicht schlafen können, darum habe ich sie gehört. Ich habe sie vom Seil geschnitten. Gott sei Lob und Dank, daß ich rechtzeitig kam«, sagte Engilradis, und ihre Stimme klang ganz fremd.
    »Wie konnte sie nur so etwas tun?« fragte ich fassungslos. Engilradis sah mich aus rotumränderten Augen an, ihr Gesicht sah unendlich müde aus.
    »Es war zuviel für sie. Erst die Schwester, dann der Sohn,
und nun auch noch der Vater. Sie fühlte sich so einsam und verlassen, daß sie es nicht mehr ertragen konnte.«
    Ich konnte Gertrudis ihren Schmerz und ihre Verzweiflung sehr gut nachfühlen; aber hatte sie gar nicht an ihre Mutter gedacht, der sie damit einen weiteren unerträglichen Schlag versetzt hätte?
    Weil ich nicht wußte, ob Gertrudis schlief oder nicht, zog ich Engilradis in eine Ecke (nicht in die, wo das Seil lag), und flüsterte:
    »Kann man sicher sein, daß sie es nicht noch einmal versucht?«
    Aber Engilradis schüttelte den Kopf.
    »Das wird sie nicht. Ich habe ihr gesagt, daß dies eine so große Sünde ist, daß es dafür keine Vergebung gibt. Die Hölle ist dem Selbstmörder gewiß. Ich habe sie gefragt, ob sie will, daß Marcmann und Meginzo im Himmel vergeblich auf sie warten sollen, und daran hatte sie nicht gedacht. Sie hat den Kopf geschüttelt, so gut das mit dem wunden Hals ging, und sich dann in den Schlaf geweint. Sie wird das beichten müssen, und der Pfarrer wird ihr eine gewaltige Buße auferlegen, aber Gott wird ihr verzeihen, schließlich hat er mich noch rechtzeitig zu ihr geschickt.
    Wir wollen dies geheimhalten, Sophia. Du kannst mir dabei helfen. Sag dem Gesinde, daß Gertrudis einen Schwächeanfall hat und heute absolute Ruhe braucht. Die Leute dürfen sich heute alle einen freien Tag gönnen, ich werde mich nicht aus ihrer Kammer rühren. Die nächsten Tage wird sie einen Schal tragen müssen, bis ihr Hals keine Spuren mehr zeigt.«

    Ja, meine Methildis, solche entsetzlichen Dinge geschehen. Gertrudis war still und in sich gekehrt, als sie nach einigen Tagen wieder aus ihrer Kammer auftauchte. Sie trug ihr schweres Schicksal von da an gottergeben, und niemand
außer dir hat je von ihrer Verzweiflungstat erfahren. Mein Vater, der nach Fordolfs Tod nun das Oberhaupt der Sippe war, fragte behutsam bei Gertrudis an, ob er sich nicht nach einem zweiten Ehegatten für sie umsehen sollte - schließlich war sie noch keine vierzig Jahre alt. Sie dachte ein paar Tage über seinen Vorschlag nach, lehnte ihn dann aber mit Bestimmtheit ab. Sie wollte lieber weiter bei ihrer Mutter bleiben und ihr bei ihrer Fürsorge für die Armen helfen.
    »Weißt du, Onkel Gunther«, sagte sie ganz heiter zu ihm, »ich habe einen wunderbaren Mann gehabt und

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