Der Zauber einer Winternacht
1. KAPITEL
Zweimal setzte Gillian Baron vergeblich an, bevor sie sich endlich dazu durchringen konnte, tatsächlich an die Tür zu klopfen – und dann wäre Gillian am liebsten auf der Stelle davongerannt wie ein Kind, das einem Nachbarn einen Klingelstreich spielte.
Warum nur fiel es ihr so verflixt schwer, vor dieser Tür zu stehen, die direkt in ihre Vergangenheit führte?
Vielleicht ist er gar nicht zu Hause …
Sie wippte auf den Absätzen ihrer Schuhe und machte sich bereit.
Bereit wofür? Davonzurennen? Schon wieder wegzulau fen vor allem, was mein Leben einmal lebenswert gemacht hat?
Ja, es hatte eine Zeit gegeben, in der ihr Leben so vollkommen gewesen war wie nur irgend vorstellbar. Damals hatte sie noch den Schlüssel zu dieser Wohnung besessen – und den Schlüssel zum Herzen des Mannes, der hier lebte. Aber dann war alles unwiderruflich zu Bruch gegangen, auf schreckliche Weise, und seine Liebe hatte sich in Hass verwandelt.
Gillian begann sich zu entspannen. Glück gehabt, dachte sie. Die Begegnung, vor der sie sich so sehr gefürchtet hatte, blieb ihr offenbar erspart.
In Gedanken spielte sie bereits durch, was sie ihren Schwestern sagen würde, wenn sie sie fragten, warum sie nicht mit ihm gesprochen hatte: „Ich hab’s ja versucht, er war nicht da!“
Erleichtert seufzend wandte sie sich ab, um zu gehen – da näherten sich hinter der Tür Schritte. „Komme schon!“, rief eine Männerstimme.
Gillian erstarrte. Plötzlich überkamen die schmerzlichen Erinnerungen an das vergangene Glück sie. Der Gedanke, Bryce wieder in das Chaos ihres Lebens hineinziehen zu müssen, widerstrebte ihr zutiefst. Vor allem aber verabscheute sie ihre Verwundbarkeit und Schwäche. Warum nur musste das hier sein, ausgerechnet jetzt, nachdem sie sich endlich damit abgefunden hatte, allein zu bleiben?
Er würde ihr kaum glauben, dass sie nur wegen ihres Vaters gekommen war. Mit der für ihn typischen Arroganz würde er vielmehr davon ausgehen, dass ihr Aufkreuzen vor seiner Wohnungstür nur einem Zweck diente: ihn erneut zu umgarnen und sich in sein Leben zurückzudrängen. Gillian machte sich darauf gefasst, dass er ihr gleich die Tür vor der Nase zuschlug.
Bryce McFadden öffnete, nur mit einer verwaschenen Jeans bekleidet, und seine Pupillen weiteten sich. Einen Sekundenbruchteil lang meinte Gillian, so etwas wie einen Hauch von Zuneigung in seinen Augen zu entdecken, dann verfinsterte sich sein Blick.
„Hallo!“ Gillian zwang sich zu einem Lächeln. „Hab ich dich geweckt?“
So wie er vor ihr stand – unvollständig bekleidet, ungekämmt, unrasiert und offensichtlich verblüfft –, hoffte sie inständig, dass sie ihn wirklich nur geweckt und nicht bei etwas anderem gestört hatte.
Eigentlich sollte ihr das egal sein, aber ihre Nerven flatterten trotzdem. Da sie ihm nicht in die Augen sehen konnte, ließ sie den Blick nach unten schweifen, über seine nackte Brust bis zum Bund seiner nicht ganz geschlossenen Jeans. Verdammt, durchfuhr es sie, ich starre ihn ja an wie ein unreifer Teenager! Prompt wurde sie rot.
Bryce hatte sich offenbar schon von seiner Überraschung erholt. Er lehnte sich lässig gegen den Türrahmen und musterte Gillian ungeniert von oben bis unten. Oh, wie sie diesen besitzergreifenden Blick und seine Wirkung auf sie kannte!
Gillian rief sich energisch zur Ordnung. Trotz seiner Anziehungskraft durfte sie keine Sekunde lang vergessen, wie sehr er sie stets auf die Palme gebracht hatte. Niemals würde sie ihm vergeben, dass er sie im Stich gelassen hatte, als sie ihn am dringendsten gebraucht hatte.
„Darf ich reinkommen?“
„Bitte!“
Gillian trat ein und sah sich flüchtig die Einrichtung an. Ein großformatiger Fernseher, eine Ledergarnitur und ein paar Fitnessgeräte gaben der Wohnung einen Hauch von persönlicher Note. Trotzdem wirkte sie ausgesprochen spartanisch eingerichtet. Weder Bilder noch Fotos zierten die kahlen Wände.
Himmel, bist du blöd! Hast du wirklich geglaubt, hier würde ein Bild von dir stehen, nur weil du es nicht geschafft hast, dich von seinen Fotos zu trennen?
„Nette Wohnung.“ Betont unbekümmert schaute sie sich um.
Kein Weihnachtsbaum, aber immerhin ein geschmackvolles Adventsgesteck auf dem Couchtisch. Ganz unbemerkt würden die Feiertage also nicht an ihm vorübergehen. Das Gesteck wirkte in der eher kühl eingerichteten Wohnung irgendwie fehl am Platz, aber immerhin hatte er sich Mühe gegeben, dem nüchternen Schwarz-Weiß ein
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