Die Tuchhaendlerin von Koeln
Morgen, liebe Tochter. Du siehst, ich bin schon auf, gewaschen, angezogen und gekämmt, und ich habe Gott schon mit meinem Morgengebet gegrüßt und ihm gedankt, daß ich auch diesen Tag erleben darf.
Bitte die Köchin, daß sie uns eine Schüssel mit Morgenbrei heraufbringt, ich möchte gern ganz in Ruhe nur mit dir das Frühmahl nehmen. Gib mir tüchtig Honig und Butter in meine Schale, ich kann eine Stärkung gebrauchen.
Wie, du hast schon gegessen? Dann bist du wohl schon aufgestanden, ehe der Hahn gekräht hat. Nun denn: Heute morgen habe ich die Kraft, deine gestrige Frage zu beantworten.
Geh noch einmal an meinen Schrein, hier ist der Schlüssel. Zieh die mittlere Schublade ganz heraus und fühle hinein. Kannst du an der Rückwand eine kleine Erhebung fühlen? Dann drück darauf. Nichts? Versuch es noch einmal, es ist ein geheimes Fach dahinter, und ich habe es lange Zeit nicht geöffnet.
Na, siehst du. Nun findest du ein weiteres Bündel Briefe. Du erkennst wohl die Handschrift: Es ist meine eigene. Ich habe diese Briefe an die Herzogin Mathilde geschrieben. Wie sie wieder in meine Hände gelangt sind? Sie haben sie nie verlassen. Ich habe keinen von ihnen abgeschickt.
Was schüttelst du so erstaunt den Kopf? Ich mußte diese Briefe schreiben, mußte mir von der Seele reden, was mich so bedrückte. Aber sie absenden - nein. Vielleicht hätte ich sie statt dessen zerreißen sollen; aber ob ich es dann fertiggebracht hätte, dir alles zu erzählen, was damals vorfiel? Vermutlich hätte ich stillschweigend ein paar wichtige Jahre meines Lebens unterschlagen.
Also gut, ich fasse jetzt ganz viel Mut. Weißt du, Mathilde war immer so stolz auf ihren Mann. Auch als er seine Macht Stück für Stück verlor. Auch ich wäre gern ebenso stolz auf meinen Gottschalk gewesen; aber leider gab es Zeiten in unserem Leben, da konnte ich das nicht. Dennoch habe ich ihn immer geliebt, und darum konnte ich meinen Kummer über ihn auch nicht meiner Freundin anvertrauen, weil ich ihn damit bloßgestellt hätte.
Aber nun ist das alles lange her, und Gottschalk ruht unter der Erde - Gott möge ihm einen Platz an seiner Seite gönnen.
Dies ist also mein erster Brief an Mathilde. Nein, ich werde ihn dir selbst vorlesen.
1181
S ophia, Kauffrau in Köln und Weib des Kaufmanns Gottschalk Overstolz, an Mathilde, die Blume von England.
Liebste Freundin, mit Freude habe ich deine Nachricht erhalten und weiß nun, wohin ich dir antworten kann.
Zunächst das Wichtigste: Wir sind unter der Obhut der Gräfin von Holstein ohne Schwierigkeit bis nach Westfalen gelangt und hatten dann das Glück, uns einer starken Gruppe von Kaufleuten anschließen zu können, die nach Dortmund reisten. Dort waren wir einige Tage bei der lieben Adelgunde geblieben, von der ich dir schon erzählt habe. In Dortmund beginnt bereits Kölner Gebiet. Vorsichtshalber machten wir uns einen Wimpel in den Kölner Farben, aber wir begegneten auf unserem Heimweg keinem Trupp unseres eigenen Erzbischofs mehr, der uns hätte überfallen wollen.
Das Wiedersehen mit meiner Familie in Köln brauche ich dir nicht zu schildern; du kannst dir vorstellen, wie groß die Freude auf allen Seiten war, weil auch du nach langer Trennung die Deinen wiedersehen durftest. Meine Kinder wichen tagelang nicht von meiner Seite, und ich war rasch wieder in meinem häuslichen und geschäftlichen Pflichtenkreis gefangen. Meine Eltern haben mir eine große Überraschung bereitet, indem sie das Haus zwischen ihrem und meinem heimlich kauften und erstklassig herrichteten und mir dann dieses riesige Geschenk …
Die nächsten Zeilen überschlage ich, um dich nicht mit meiner Freude über das neue Haus zu langweilen.
Ja, hier geht es weiter.
Liebste Mathilde, dieser Brief kam nach Monaten wieder in meine Hände zurück, ohne daß du ihn hättest lesen können. Ich hatte ihn einem Kaufmann anvertraut, der aber vom Wagen stürzte, als seine Pferde infolge von Hornissenstichen durchgingen, und er brach sich dabei ein Bein. Er lag wochenlang in einem Kloster zur Pflege, mußte dafür mit einem erheblichen Teil seiner Ladung bezahlen, so daß eine weite Reise sich nicht mehr für ihn lohnte, als er endlich wiederhergestellt war. Statt in die Normandie fuhr er darum nach Hause zurück.
Ich fand dann lange Zeit niemand, der in eure Richtung hätte reisen wollen; nun aber wird mein Vetter Constantin zum Hofe deines Vaters und dann nach England fahren, und er will meinen Brief an dich
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