Die Tuchhaendlerin von Koeln
nicht den Jubel aus, den er erhofft hatte. Ich sah, wie Hadewigis und Bertram einen Blick wechselten.
»Er bewegt sich merkwürdig«, sagte Bertram ruhig. »Was können wir tun, damit er sich ganz erholt?«
Der Mönch schwieg. Er wandte sich zur Wiege, nahm das Kind heraus und wiegte es sanft in seinen Armen. Die Windel war verrutscht, das linke Beinchen hing herunter. Die Zehen waren verkrampft.
»Ich kann euch keinen weiteren Rat geben, als auf Gott zu vertrauen«, sagte er schließlich.
»Nicht jeder Mensch von den wenigen, die diese Krankheit überleben, wird wieder ganz gesund. Es können erhebliche Behinderungen zurückbleiben. Ich weiß kein Mittel dagegen. Außer dem Gebet natürlich.«
Er zeichnete dem Kleinen ein Kreuz auf die Stirn und legte ihn behutsam in die Wiege zurück. Dann wandte er sich noch einmal zu den Eltern und sagte eindringlich:
»Euer Kind ist auch Gottes Kind und wird von ihm geliebt. Denkt immer daran.«
Er neigte den Kopf und ging.
Bertram nickte ein paarmal wie ein alter Mann. Dann straffte er sich. Er wußte Bescheid und würde diese schwere Last ertragen.
Hadewigis sah ihn an. Erst jetzt begriff sie wirklich. Ich sah, wie die Hoffnung in ihrem Gesicht erlosch. Sie hob die Hände und stieß einen langen, durchdringenden Schrei aus. Dann erhob sie sich wie vorher ihr Mann und sagte mit zitternder Stimme: »Aber er lebt. Und wir lieben ihn.«
Hildebrand wandte sich mir zu. Er sah, daß mein Gesicht tränenüberströmt war.
»Du mußt nicht weinen, Sophia«, sagte er liebevoll. »Es ging dem Kind gut. Hadewigis kümmerte sich mit aufopfernder Liebe um ihn, und Bertram dachte insgeheim an weitere Kinder. Aber dazu kam es nicht mehr. Schon auf seiner nächsten Reise wurde er von Wegelagerern überfallen und bei der Verteidigung seines Eigentums schwer verletzt. Seinen Knechten gelang es, ihn nach Soest heimzubringen, aber er hatte zu viel Blut verloren und starb in Hadewigis’ Armen.
Ich werde dir jetzt ein Geheimnis gestehen, das nie jemand erfahren hat, Sophia. Als ich am Grab meines Bruders stand und um ihn weinte, hatte ich die feste Absicht, Hadewigis später einmal zu heiraten. Aber sie gab mir leider nicht das leiseste Zeichen, daß ihr dies willkommen sein könnte. Sie verkaufte ihr Haus und ihr Warenlager an meinen Vater, umarmte meine Eltern noch einmal voller Liebe - auch mich, aber leider nur so, wie man einen Bruder umarmt -, und zog dann nach Köln zurück. Wenn sich mir die Gelegenheit bot,
reiste ich dorthin und besuchte sie. Sie begrüßte mich stets freundlich und herzlich, nahm mich aber nicht in ihr Haus auf, weil sich das für eine Witwe nicht schickte. Ich hoffte jedesmal aufs neue, aber ich war ja auch viel jünger als sie und wagte nicht, sie um ihre Hand zu bitten. So schützte ich immer vor, ich käme nur, um nach meinem Patenkind und Neffen zu sehen. Na ja, und eines Tages traf ich sie dann als Frau deines Vaters wieder.
Weißt du, Sophia, was mich dabei noch heute sehr ärgert? Dein Vater ist nicht älter als ich. Wenn er sich traute, sie um ihre Hand zu bitten, warum habe ich es dann nicht gewagt?
Jedenfalls habe ich von da an die Reisen nach Köln anderen überlassen, und darum habe ich dich auch bis heute noch nie gesehen.
Ich habe mich dann in Dortmund nach einer Frau umgesehen, und Adelgunde ist eine rechtschaffene, liebe Person, eine vorbildliche Mutter unserer vier Söhne, und kümmert sich hervorragend um meinen großen Haushalt. Ich bin ihr von Herzen zugetan; aber in einem stillen Winkel meiner Seele lebt noch immer mein Traumbild Hadewigis.«
Ich sah verstohlen zu Hildebrand hinüber. Sein Blick schweifte in die Ferne, und seine Aussprache war ein klein wenig undeutlich geworden. Die erheblichen Mengen an Wein und Bier, die ihn im Laufe des Abends beschwingt hatten, waren wohl schuld daran, daß er mir sein Geheimnis anvertraut hatte. Ich beschloß, es niemals auszuplaudern.
Aber dir kann ich es jetzt ja erzählen, denn niemand der Beteiligten ist mehr am Leben.
Frau Adelgunde saß an der anderen Seite des Tisches neben Constantin. Sie konnte unmöglich gehört haben, was ihr Gatte mir erzählte, aber mit der Erfahrung von vielen Ehejahren konnte sie seinen verschwommenen Blick deuten.
Sie kam nun herüber, nahm meine Hand und führte mich zielstrebig zu ihren vier Söhnen, die mich mit freudigem Zuspruch aufnahmen. Sie sahen sich alle sehr ähnlich, vier jugendliche Abbilder ihres Vaters. Ich muß gestehen, daß es mir nicht
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