Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
Vorwort
Schule ist ein Thema, das mir am Herzen liegt. Ich selbst habe diese Institution zuerst als Schülerin, später als Lehrerin und auch als Mutter dreier Kinder aus verschiedenen Blickwinkeln erlebt. Und ich muss sagen: Unsere Schule ist lebensfremd und nutzlos. Früher wie heute lassen sich die Lehrer, die begeistert ihre Berufung leben, an einer Hand abzählen. Schulen, in denen die Lehrer mit ihren Schülern auf Augenhöhe kommunizieren, Schüler grandioses Sozialverhalten entwickeln, Wertschätzung und Achtsamkeit im menschlichen Miteinander geübt werden, sind winzige Lernoasen in einer Wüste.
Nach wie vor bestimmen an den allermeisten Schulen Langeweile und Bevormundung den Alltag. Eigenständiges Denken wird allen Beteiligten ausgetrieben. Schüler verschlafen kostbare Lebens- und Lernzeit. Wenn sie schließlich mit einem Abschlusszeugnis die Schule verlassen und vor dem Abenteuer Leben stehen, dann wissen sie vor allem eines nicht: Wer bin ich, was kann ich, was will ich.
Aber wieso tragen wir ein Schulsystem mit, das dem von Natur aus neugierigen und lernwilligen Menschen das Lernen abgewöhnt? Ein System, das Individualität und Selbstbestimmung unterdrückt? Wir können uns doch wahrlich nicht darüber beklagen, dass das Thema Bildung zu wenig beachtet wird: Eine Reform jagt die andere, Schule steht ständig im Mittelpunkt von Diskussionen – doch es verbessert sich
rein gar nichts. Wäre nicht allmählich die Frage angebracht, ob das Umgestalten unseres Schulsystems endlich im Leben stattfinden muss anstatt an den Schreibtischen bürokratischer Entscheider?
Ich denke, genau das ist der Punkt: Wir selbst sind gefragt! Eltern, Lehrer und Schüler. Wir selbst müssen Schule machen.
Wir brauchen ein Schulsystem, in dem wir junge Menschen dazu befähigen, sich ihre Lebensziele selbst zu stecken und zu erreichen. Bildung ist erst dann wertvoll, wenn der Mensch etwas damit anfangen kann. Und genau das muss Schule leisten: die Lust am Lernen aufrechterhalten und vorantreiben, denn jeder lernt gern! Ich sehe es als meine Berufung als Lehrerin, junge Menschen dabei zu begleiten, wie sie über sich selbst hinauswachsen und sich mutig auf ihren Lebensweg machen.
Damit uns das gelingt, müssen wir alle etwas beitragen. Ich hoffe, dieses Buch ist ein Teil davon.
Ihre Bettina L’habitant
Was Schule heute bedeutet
Kaum etwas regt Eltern, Lehrer, Schüler und viele andere Menschen hier und heute so auf und wird derart kontrovers und zuweilen auch hilflos diskutiert wie das Thema Schule. Um die Schule zu begreifen, die wir hier und heute kennen, werfen wir auch einen kurzen Blick zurück: Welche Aufgabe hatte Schule früher – und welche hat sie heute?
Ein erster Blick in unsere Schulen
Wie erleben Schüler die Schule? Eine Neuntklässlerin beschreibt ihren Start in eine beliebige Schulwoche so:
PRAXISBEISPIEL ______________________________________
Montagmorgen, 8 Uhr. Der Tag beginnt mit zwei Stunden Religion. Die Lehrerin ist noch nicht da, die Schüler lärmen durch den Schulflur. Endlich hastet sie herbei. Während sie die Tür aufschließt, nuschelt sie eine Entschuldigung, dass ihr Auto nicht angesprungen sei. Man begrüßt sich, die Lehrerin geht die Anwesenheitsliste durch. Schon sind etwa zehn Minuten vergangen.
Der Unterricht könnte nun endlich beginnen. Aber die Lehrerin redet aus einem Zufallsgespräch heraus erst einmal 15 Minuten lang über Käpt’n Blaubär. Anschließend redet sie
weitere 20 Minuten über das »Nichts«, das die Schüler immer unter dem Tisch haben und tun (»Was machst du da unter dem Tisch?« – »Nichts.«).
Mehr als eine halbe Stunde der Unterrichtszeit ist inzwischen vorbei – und schon geht’s tatsächlich los! Die Lehrerin erklärt weitere 20 Minuten die Aufgabe des heutigen Unterrichts: Die Schüler sollen in Gruppen über ein bestimmtes Thema diskutieren.
Und die Schüler diskutieren. Über das vergangene Wochenende, über die Planung des Nachmittags oder des kommenden Wochenendes ...
Nach zehn Minuten wird die Aufgabe in der Klasse besprochen. Die Schüler denken sich rasch Antworten dazu aus, da sie ja gar nicht über das Thema diskutiert haben. Die Lehrerin beantwortet die gestellte Aufgabe schließlich selbst in einem 15-minütigen Vortrag.
Es ist geschafft: Die erste Doppelstunde ist beendet.
Ergebnis der Stunde: Die Schüler sind jetzt schon ermüdet, diese 90 Minuten haben niemandem etwas gebracht.
Weiter geht’s mit 90 Minuten
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