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Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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1602
    Jeder hat ein Geheimnis.
    Wie die Auster ihr Sandkorn verbergen wir es tief in unserem Innern, hüllen es in Schichten aus Kristall, als ob das unsere tödliche Wunde heilen könnte. Manche von uns verbringen ihr ganzes Leben damit, unser Geheimnis in seinem Versteck zu bewahren, es vor jedem zu schützen, der es uns entreißen könnte. So werden wir zur Auster und verschließen unsere Perle nur um zu entdecken, dass sie uns in einem Moment entschwindet, da wir am wenigsten damit rechnen – enthüllt durch das Aufblitzen von Angst in unseren Augen, wenn wir unversehens ertappt werden, durch einen jähen Schmerz, durch Raserei, Hass oder verzehrende Scham.
    Ich weiß alles über Geheimnisse. Geheimnisse sind überall, ob sie mit Waffen verteidigt, in Ketten gelegt oder in der Bettkammer mit Koseworten ummantelt werden. Die Wahrheit allein kann nie genügen. Geheimnisse sind die Münze unserer Welt, der Grund, auf dem wir unser Pracht- und Lügengebäude errichten. Wir brauchen unsere Geheimnisse, damit sie uns als Eisen für unsere Rüstung dienen, als Brokat für unseren Körper und als Schleier für unsere Ängste. Sie täuschen und trösten uns, und immer schützen sie uns vor der Tatsache, dass am Ende auch wir sterben müssen.
    »Schreibe alles auf«, befiehlt sie mir, »bis zum letzten Wort.«
    So sitzen wir im Winter unseres Lebens oft zwanglos zusammen, sie und ich, zwei chronisch Schlaflose in der außer Mode geratenen Kleidung, die nicht mehr auf das Schachbrett oder das liegen gebliebene Kartenspiel auf dem Tisch achten, während ihre Augen – immer noch flink, wachsam und scharf wie die einer Löwin in einem vom Alter hohlwangig gewordenen Gesicht – sich nach innen richten, auf einen Ort, den kein Mensch je betreten hat, auf ihr eigenes Geheimnis, von dem ich jetzt weiß, vielleicht schon immer gewusst habe, dass sie es mit sich in ihr Grab nehmen muss.
    »Schreibe es auf«, sagt sie, »damit du dich daran erinnerst, wenn ich nicht mehr bin.«
    Als ob ich je vergessen könnte …

WHITEHALL, 1553
    1
    Wie alles Wichtige im Leben begann es mit einer Reise – auf der Straße nach London, um es genau zu sagen, und es war mein erster Ausflug in diese so erregende wie elende Stadt.
    Wir brachen noch vor Sonnenaufgang auf, zwei Männer zu Pferde. Noch nie im Leben war ich über Worcestershire hinausgekommen, sodass mich Master Sheltons Ankunft mit dem Befehl, ihm zu folgen, umso unerwarteter traf. Ich hatte kaum Zeit, meine wenigen Habseligkeiten zu packen und mich von den anderen Bediensteten zu verabschieden (unter ihnen auch die süße Annabel, die zum Steinerweichen weinte), dann ritt ich auch schon von Dudley Castle los. Mein ganzes bisheriges Leben hatte ich dort verbracht, und jetzt war auf einmal völlig unklar, wann oder ob ich überhaupt zurückkehren würde.
    Eigentlich hätten mich allein schon meine Aufregung und Bangigkeit wach halten müssen, doch eingelullt von der Einförmigkeit der an mir vorbeiziehenden Landschaft und dem gemütlichen Trott meines Rotschimmels Cinnabar, schlief ich bald ein.
    Master Shelton rüttelte mich wach. »Brendan, Junge, wach auf! Wir sind fast schon da.«
    Ich richtete mich in meinem Sattel auf. Noch schlaftrunken blinzelnd, griff ich mir an den Kopf, um die Kappe zurechtzurücken, spürte aber nur mein widerspenstiges hellbraunes Haar zwischen den Fingern. Bei seiner Ankunft hatte Master Shelton die Nase über seine Länge gerümpft und gegrummelt, dass kein Engländer so ungepflegt wie die Franzosen herumlaufen sollte. Er würde über den Verlust meiner Kappe nicht gerade erbaut sein.
    »O nein!« Ängstlich sah ich zu ihm auf.
    Er musterte mich mit regungsloser Miene. Über seine gesamte linke Wange verlief eine hervortretende Narbe, die sein zerklüftetes Gesicht verunstaltete. Nicht, dass sie ihn störte! Ein schöner Mann war Archie Shelton noch nie gewesen, gleichwohl eine beeindruckende Gestalt, die Achtung gebietend auf dem Ross thronte. Sein bestickter Umhang und sein Stab wiesen ihn als Haushofmeister derer von Dudley aus. Jeden anderen Menschen hätte sein granitharter Blick in Angst und Schrecken versetzt, doch ich hatte mich an seine schweigsame Art gewöhnt, seit er vor acht Jahren auf dem Gut der Dudleys eingetroffen war und von da an meine Entwicklung überwacht hatte.
    »Sie ist vor einer Wegstunde heruntergefallen.« Mit diesen Worten streckte er mir meine Kappe entgegen. »Seit meinen Tagen in den schottischen Kriegen habe ich nie wieder

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