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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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ergrauenden, zur Glatzenbildung neigenden, das haarige Dilemma mittels eines Vollbarts ausgleichenden Langzeitstudenten, der schon früh erkannt hatte, daß er nicht das Zeug zu Höherem besaß, und deshalb beschloß, sich Prestige und Geld über buchstäblich alternative Wege zu verschaffen. Den militanten Fahrradfahrer, der sich in der kommunalen Politik engagierte, vor allem, was die Errichtung von Fahrradwegen betraf, und der durch sein Bürgerinitiativengeschrei genau in den Institutionen, die er der Bürgerferne beschuldigte, einen beamtenmäßigen Posten ergatterte. Den sich als fleischgewordene Anklage gegen den Durchsch nittsmann gebärdenden »Brigitte- Mann«, der sich irgendwann mit einer anschmiegsamen Erdmutter in Birkenstocksandalen zusammentat und gleich fünf Kinder zeugte, was natürlich unweigerlich einen finanziellen Anforderungskatalog an den Staat nach sich zog.
    Ali hatte oft darüber sinniert, weshalb er einen solchen Haß gegen den »amtlichen Waldschrat« empfand (der Ausdruck hatte sich immer fester in seinem Bewußtsein manifestiert, je öfter er dem Mann begegnete). Warum er ihn am liebsten von seinem Hollandrad heruntergeschubst hätte, wenn dieser mit einem seiner zahllosen Kinder im Anhänger an ihm vorbeischepperte. Im Lauf der Zeit fand er eine Antwort, und sie war so klar wie der Blaustich in seinen Bildern: Der amtliche Waldschrat war normal, ein moderner kleiner Spießer - und zufrieden. Er hatte von vornherein keine großen Ansprüche an das Leben gestellt und es unter Ausnutzung des gesellschaftlichen Zeitgeistes zu einer rundum abgesicherten und glücklichen Existenz gebracht. Er lebte in seinem schönen Knusperhäuschen, freute sich über seine wachsende Kinderschar und schlief jede Nacht bestens. Er, Seichtem, dagegen lebte in steter Angst. Angst, daß er seinem künstlerischen Anspruch nicht genügen könnte, daß er kein reicher Mann sein würde oder, ganz im Gegenteil, daß er ein Neureicher werden könnte, dessen Gedanken mehr um ein protziges Sportcoupé kreisen als um die ungemalten Bilder unter seiner Schädeldecke, daß er etwas verpassen könnte, daß sein Leben adagio an ihm vorbeiziehen könnte wie ein luxuriöser Eisenbahnwaggon, in dem ein rauschender Ball stattfand, während er gegenüber in dem grauen Bummelzug saß, daß er sterben könnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Deshalb haßte Seichtem den amtlichen Waldschrat. Weil dieser alles richtig gemacht hatte. So paradox es auch klang, es war der blanke Neid auf einen Menschen, der er niemals sein wollte.
    Aber die ganze Angst war umsonst gewesen. Denn nach all den Jahren voller Bangen und Zweifeln, ohne und mit Ruhm, ohne und mit Vermögen, stand er noch schlechter da als vor Beginn der Angst. Er hatte alles verloren. Sogar sich selbst.
    Ali fand eine Befriedigung d arin, daß er in den Vorgarten de s amtlichen Waldschrats gekotzt hatte. Rache ist süß und stinkt, dachte er und ließ sich mit zitternden Knien zu Boden sinken. Mit dem Rücken an den Zaun gelehnt saß er auf dem feuchten Bürgersteig. Beinahe wäre er in Gelächter ausgebrochen bei der Vorstellung, daß er eigentlich nur noch einen Hut vor sich aufzustellen brauchte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er fühlte sich zwar immer noch als hätten ihn verrückte Forscher zum Schlucken von verrückten Pillen gezwungen, aber es wurde merklich besser. Die Entleerung hatte ihm gutgetan.
    Etwas erregte seine Aufmerksamkeit, etwas Helles. Er nahm es aus dem rechten Augenwinkel wahr. Allmählich graute der Morgen, doch es war nicht Dämmerlicht, was er gesehen hatte. Ali wandte den Kopf zur Seite und bemerkte, daß die sonst lückenlos aneinandergefügten Gebäude dieser Straßenzeile an der linken Flanke des Hauses durch eine Art Gasse nach hinten unterbrochen wurden. Sie mußte extrem schmal sein, denn nur ein für Perspektiven geübtes Auge, wie er es besaß, konnte sie aus diesem Blickwinkel ausmachen. Ein kaltes, allerdings sonderbar fluoreszierendes Licht brach aus der Gasse hervor und ergoß sich auf den Bürgersteig. Wiewohl seine Intensität kaum über die eines matten Nachglühens hinausreichte, schien ihm eine ganz eigene geheimnisvolle Kraft innezuwohnen, welche es von dem einsetzenden Tageslicht abhob.
    Seichtem entschied, daß er sich um wichtigere Dinge zu kümmern hatte, als der Quelle von wunderlichen Lichtspiegelungen an einem tristen Märzmorgen nachzugehen. Zum Beispiel mußte er seinen grauenvollen Kater auskurieren, was mit

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