Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Zwei-Millionen-Dollar-Vorschuß-Biographen fasziniert hätte. All die Elemente einer bewunderten Künstlerexistenz kamen bei Ali in einer bemühten und verbissenen, letztendlich aber lächerlichen Form daher. Es gab dafür ein böses Wort in der Szene: provinziell! Ja, er hatte weder je die Lebensart noch den Nimbus eines Künstlers besessen, sondern nur den rasch verfallenden Ruhm eines Modemalers. Sogar Hicks, der ja nun wirklich nicht malen, nicht einmal übermalen konnte, entsprach dem heiligen Ideal eher. Kurz, Seichtem kannte den Trick nicht.
Der einzige Trick, den er tatsächlich beherrschte, war - malen. Schon früh hatten es ihm dabei kaputte Gegenstände angetan, und die wenigen Kunstkritiker, die sich später mit seinen Werken auseinandersetzen sollten, hielten ihn daher für einen Existentialisten. Sie meinten aus den Gemälden die Botschaft herauslesen zu können, daß alles Existierende über kurz oder lang zu Abfall wird, so schön, nützlich oder scheinbar dauerhaft es auch sein mochte. Seichtems Grundthemen waren immer Zerstörung und Verfall gewesen, deren malerische Umsetzung beim Betrachter Nachdenken über die Vergänglichkeit und die Absurdität des eigenen Lebens auslösen sollte.
Eine grotesk verbeulte Schreibmaschine, die jemand aus dem zehnten Stock geworfen hatte, und die mit ihren auseinanderexplodierten Typenhebeln wie ein Friseurunfall aussah. Oder ein Staubsauger post mortem, das Plastikgehäuse an mehreren Stellen gesprungen, der Lack zerschrammt, die Farbe längst nicht mehr zu erkennen. Um Schlauch- und Ansatzrohrenden gewickeltes Klebeband zeugte von letzten Lebensrettungsversuchen.
All diese fast fotorealistisch gemalten und von einem kalten Blaustich durchdrungenen Motive strahlten maßlose Trauer über das Unwiederbringliche aus. Zwar waren die abgebildeten Gegenstände selbst als sie noch funktionierten nicht eigentlich als lebendig zu bezeichnen gewesen, aber Seichtems Pinselmagie schaffte es, eine schwermütige Erinnerung an ihre Art von Leben heraufzubeschwören. Und die Wehmut über deren Verlust.
Natürlich waren solche Bilder kaum verkäuflich. Obwohl die Besucher in der Galerie von der handwerklichen Brillanz begeistert und den morbiden Motiven fasziniert waren, weigerten sie sich, das Ganze als zeitgemäße Malerei zu betrachten, geschweige denn als Geldanlage. Es fehlten eben die getackerten Binden auf der Leinwand.
So lebte Alfred Seichtem das Leben eines armen, aber hochmotivierten Malers, mit sämtlichen Klischees, die man an Geschichten über entbehrungsreiche Wege zum Ruhm so zu schätzen weiß. Bis zu seinem einunddreißigsten Geburtstag. An diesem Tag sollte eine Feier mit Dosenbier und belegten Baguettes stattfinden, und er hetzte vormittags in die Stadt, um in einem Discountmarkt alles Nötige zu besorgen. Bepackt wie ein Lastesel hatte er gerade den Laden verlassen, als er auf der Straße eine Menschentraube um die Front einer Trambahn versammelt sah. Eigentlich war der erste Sonnentag des beginnenden Frühlings viel zu kostbar, um ihn mit Sensationsgier zu vergeuden. Aber dann siegte doch der Voyeur in ihm, und obwohl er wußte, daß hier etwas Schreckliches passiert sein mußte, bahnte er sich seinen Weg durch die anderen Schaulustigen.
Eine goldblonde junge Frau, vielleicht zwanzig Jahre alt, war auf ihrem Fahrrad von der Trambahn erfaßt worden und anscheinend auf der Stelle tot. Die vom Sonnenlicht grell beschienene Schöne lag mit verrenkten Gliedern auf dem Rücken, und ihre Haare bewegten sich leicht im warmen Wind. Neben ihr das Fahrrad, das aussah wie eine von gelangweilten Fingern bis zur Unkenntlichkeit verbogene Büroklammer.
Merkwürdigerweise hatte sie keine offenen Wunden davongetragen und auch keinen Tropfen Blut verloren. Allerdings glich sie nicht gerade einem schlafenden Engel. Als bestünde ihr Kopf aus Pappmaché , hatte der Aufprall in der linken Gesichtshälfte eine riesige Delle hervorgerufen und das linke Auge, den unteren Teil des Ohres, das Jochbein, den Unterkiefer sowie den halben Mund stark nach innen gewölbt - ein Porträt wie durch Tricktechnik gezaubert. Zwar schimmerte die einstige Anmut immer noch durch, aber weil die Gesichtszüge so spektakulär zerstört worden waren, konnte man sich kaum des Gefühls erwehren, gar keinen Menschen vor sich zu sehen, sondern ein lebloses Ding, welches jederzeit nach Belieben geformt werden konnte.
Menschen sind letztlich auch nicht so viel anders als Staubsauger, dachte Ali in
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