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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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gesagt: „Der Mensch ist die Summe von allem, was er getan hat, was er zu tun oder nicht zu tun wünscht und was er wünscht getan oder nicht getan zu haben.“
    Denken Sie einen Augenblick darüber nach. Meine Aussage ist ganz bewußt ebenso allgemein wie all die anderen Definitionen gehalten, aber sie enthält ebenso Platz für die Biologie und das Lachen und den Ehrgeiz wie für die Kulturübertragung, die Liebe und den Saal voll Spiegel und die Definitionen. Ich habe sogar die Tür für die Religionen offengelassen, werden Sie feststellen. Aber diese Definition hat auch ihre Grenzen. Haben Sie je eine Auster kennengelernt, auf die die letzten Sätze paßten?
    Tierra del Cygnus, Land des Schwanes, ein schöner Name.
    Ein schöner Ort auch, wenigstens für eine Weile. Dort mußte ich zusehen, wie die Definitionen vom Menschen – eine nach der anderen – von der großen Tafel gewischt wurden, bis nur noch die meine übriggeblieben war.
    … Mein Radio hatte mehr Störgeräusche geliefert als sonst. Das ist alles.
    Ein paar Stunden gab es keinen Hinweis auf das, was kommen sollte.
    Meine hundertdreißig Augen hatten Betty den ganzen Morgen beobachtet. Es war einer jener klaren kühlen Frühlingstage, die Sonne goß ihr Honiglicht und ihre Blitze über die Bernsteinfelder aus, strömte durch die Straßen, drang in Läden mit falschen Fassaden wie im Wilden Westen ein, trocknete Randsteine und wusch die olivfarbenen Knospen, die in der Haut der Bäume steckten; das Licht, das die blaue Farbe aus der Fahne gewrungen hatte, ehe die Stadtverwaltung aus den Fenstern orangerote Spiegel gemacht hatte, jagte purpurne und violette Flecken über die etwa fünfzig Kilometer entfernte Hügelkette, brach dann über den Wald zu ihren Füßen wie ein übernatürlicher Wahnsinniger mit einer Million Farbeimern herein und schmierte in jedem der kilometerbreiten Pinsel eine andere Nuance von Grün, Gelb, Orange, Blau und Rot über das wogende Meer der Gewächse. Am Morgen ist der Himmel kobaltfarben, am Mittag türkis, und der Sonnenuntergang besteht aus Smaragden und Rubinen, hart und blitzend. Es war etwa in der Mitte zwischen Kobalt und Türkis, gegen 11.00 Uhr, als ich Betty mit meinen hundertdreißig Augen beobachtete und nicht sah, was auf das hinwies, was da kommen würde. Da war nur dieses hartnäckige Störgeräusch, das die Piano- und Saitenklänge in meinem Kofferradio begleitete.
    Es ist eigenartig, wie der Geist des Menschen personifiziert, Geschlechter verleiht. Schiffe sind immer Frauen. Man sagt „ein braves Mädchen“ und schlägt gegen den Rumpf, spürt die Aura von Weiblichkeit, die an den Kurven eines Schiffes hängt, oder im Gegensatz dazu, „dieser Dreckskerl will nicht anspringen“ und tritt gegen die Hilfsmaschine in einem Transportfahrzeug; Hurrikans sind immer Frauen, ebenso Monde und Meere. Bei Städten ist es anders. Normalerweise sind sie Neutrum. Niemand nennt New York oder San Francisco „er“ oder „sie“. Normalerweise sind Städte einfach „es“.
    Manchmal aber gewinnen sie die Attribute eines Geschlechtes. Das ist gewöhnlich auf der alten Erde bei den kleinen Städten in der Nähe des Mittelmeeres der Fall. Vielleicht liegt das an den Sprachen, die man in diesen Gegenden spricht, und das sagt uns mehr über die Bewohner als die Orte selbst. Aber ich glaube, daß es tiefer geht.
    Betty hieß nicht einmal zehn Jahre lang Station Beta. Nach zwei Dekaden hieß sie offiziell Betty, infolge Stadtratsbeschluß. Warum? Nun, ich war damals (gute neunzig Jahre ist es her) der Meinung – und bin es heute noch –, daß es deswegen geschah, weil sie war, was sie war, ein Ort der Ruhe, der Reparaturen, der Mahlzeiten, die auf dem Planeten gekocht wurden, ein Ort neuer Stimmen, neuer Gesichter, neuer Landschaften und natürlichen Lichts nach jenen langen Flügen durch die große Nacht. Betty ist kein Zuhause und selten ein Ziel, aber irgendwie gleicht sie beidem. Wenn man nach Dunkelheit, Kälte und Schweigen Licht, Wärme und Musik findet, dann fühlt man sich wie bei einer Frau. Die alten Seeleute im Mittelmeer müssen es genauso empfunden haben, als sie am Ende einer Reise ihren Hafen erreichten. Ich fühlte es, als ich zum erstenmal Station Beta – Betty – sah und das zweite Mal genauso.
    Ich bin ihr Wächter. Ihr Hell Cop.
    … als sechs oder sieben meiner hundertdreißig Augen flackerten, erlöschten und dann wieder sahen und als die Musik plötzlich von einer Welle von Störgeräuschen

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