Soko Mosel
*
Kurz nach Mitternacht bog Jan Lorenz in den schmalen Stichweg ein, der hoch zum Haus führte. Er schaltete in den ersten Gang zurück. Der Renault quälte sich die steile Straße hinauf.
Als das Haus hinter einer Kurve auftauchte, sah Lorenz einen Lichtschein, wie von einer Taschenlampe, hinter einem der Fenster aufblitzen. Ganz kurz nur, so dass er einen Moment überlegte, ob er sich nicht getäuscht haben könnte. Wer stattete ihm einen nächtlichen Besuch ab? Er parkte den Wagen unweit vom Haus in einem kleinen Waldweg und nahm die große Maglite aus dem Handschuhfach. Nach kurzem Zögern ließ er den Haustürschlüssel wieder in die Hosentasche zurückgleiten.
Das Gebäude thronte oberhalb des Dorfes auf einem terrassierten Grundstück mit parkähnlichen Ausmaßen. Das ganze Gelände war mit einem hohen Drahtzaun umgeben. Lorenz schlich sich lautlos daran entlang und leuchtete ab und zu auf nasse Brennnesseln und Gestrüpp, die ihm Schuhe und Hosenbeine dunkel färbten.
Er suchte die Lücke im Zaun, wo sich der Überlauf des untersten Teiches befand. Endlich erfasste der Lichtkegel den Durchschlupf. Das Kraut, das sonst die Stelle verdeckte, lag flach auf die Erde gedrückt. Lorenz schlüpfte auf dem Rücken liegend unter dem Draht hindurch.
Der Himmel war wolkenverhangen. Vom Dorf drang nur spärliches Licht in den großen Garten. Ein nach Insekten schnappender Fisch brachte kurzzeitig die düstere Oberfläche eines Teiches in Wallung. Danach war nur noch das Dauerquaken der Frösche zu hören. Lorenz mied die verräterischen Kieswege zwischen den Weihern und schlich über Steinplatten, Rasen und Beete zum Haus. Die Taschenlampe blieb ungenutzt, sie sollte notfalls als Schlagwaffe dienen. Er war in seinem Leben an einem Punkt angelangt, wo Angst keine Rolle mehr spielte. Er hing an nichts mehr.
Die Tür zum Wintergarten war angelehnt. Wo vorher die kleine Scheibe in Kopfhöhe gewesen war, klaffte eine dunkle Öffnung. Er hatte richtig vermutet. Der Eindringling war auf diesem Weg ins Haus gekommen. Oder waren es mehrere? Lorenz tastete mit dem Fuß nach vorn, es knirschte. Er zog den Parka aus, beugte den Oberkörper weit zur Tür hinein und legte die Jacke auf den Boden. Vorsichtig huschte er durch die Tür und hörte das leise Knacken der Glasscherben unter dem dicken Stoff.
Drinnen war es ruhig. Lorenz umkurvte die großen Kübel mit den Pflanzen, die hier überwintert hatten. In der nächsten Woche sollten sie wieder ihren Platz im Garten einnehmen. Lautlos rollten seine weichen Sohlen auf den Terrakottafliesen ab.
Lorenz lauschte eine Weile, bevor er die Küche betrat. Mit der linken Hand tastete er sich vor, um nicht gegen einen Stuhl zu stoßen.
Plötzlich wurde sein Arm mit brutaler Wucht auf den Rücken gerissen und nach oben bis zum Schulterblatt gedrückt. Er stöhnte laut. Die Taschenlampe polterte zu Boden. Seine Schulter schmerzte höllisch. Jemand trat ihm die Beine weg. Er schlug hart auf die Fliesen und japste nach Luft. Blitzschnell wurden seine Unterarme auf dem Rücken zusammengezurrt. Hände tasteten ihn grob am ganzen Körper ab. Dann ließ der Druck nach. Das Deckenlicht flackerte auf.
Eine Stimme befahl: »Liegen bleiben!«
Lorenz war nicht nach Aufstehen zumute. Jeder noch so flache Atemzug tat weh. Er hörte Schritte. Mit äußerster Überwindung wendete er den Kopf. Er hatte seine Brille verloren und sah etwas verschwommen einen bulligen Mann in schwarzen Jeans und schwarzer Lederjacke aus dem Wintergarten in die Küche zurückkommen. Der Mann warf den verdreckten Parka auf den Esstisch und entnahm ihm die Brieftasche. Nach einem prüfenden Blick auf Lorenz’ Führerschein musterte er den am Boden Liegenden: »Jan Lorenz? Hört sich norddeutsch an. Was machen Sie hier?«
»Das fragen Sie mich?«
Mit überraschender Schnelligkeit kniete der fremde Mann auf Lorenz’ Rücken, packte ihn im Nacken am Hemdkragen und bog seinen Kopf nach hinten: »Ich kann auch anders!«
Obwohl ihm die Gurgel abgedrückt wurde, versuchte Lorenz zu nicken.
Der Angreifer ließ los. Lorenz drehte im letzten Moment sein Gesicht zur Seite. Schläfe und Wangenknochen krachten auf die Fliesen. Glas knirschte. Er war auf seine kaputte Brille gefallen.
»Also!«
»Das Haus gehört einem Freund. Der hatte einen Schlaganfall. Ich kümmere mich.«
»Aha, und was sonst?«
»Wie, was sonst?«
»Was arbeiten Sie?«
»Nichts.«
»Schon im Ruhestand?«
»Ja, aber um das zu erfahren, hätten Sie
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