Die Türme der Mitternacht
sich in Nebel auf. Er stand in Finsternis.
Da, dachte er. Er befand sich in einem langen Korridor mit dunkler Holztäfelung. Er setzte sich in Bewegung, seine Stiefel polterten laut. Diese Schreie. Sie erschütterten seinen Frieden. Da litt jemand Schmerzen. Er wurde gebraucht.
Rand fing an zu laufen. Er kam zu einer Tür am Ende des Korridors. Das rostbraune Holz war knorrig und voller Vorwölbungen, wie die dicken Wurzeln eines uralten Baumes. Rand griff nach der Klinke - ebenfalls eine Wurzel - und riss die Tür auf.
Unverfälschte Schwärze erfüllte den dahinter liegenden Raum, lichtlos, wie in einer Höhle tief unter der Erde. Der Raum schien das Licht aufzusaugen und zu vernichten. Die schreiende Stimme kam von hier. Sie war schwach, als würde die Dunkelheit sie ersticken.
Rand trat ein. Die Dunkelheit verschluckte ihn. Sie schien ihm das Leben auszusaugen, wie hundert Blutegel, die ihm das Blut aus den Adern saugten. Er ging trotzdem weiter. Er konnte die Richtung nicht erkennen, aus der die Schreie kamen, also tastete er sich an der Wand entlang; sie fühlte sich wie Knochen an, glatt, aber mit gelegentlichen Sprüngen versehen.
Der Raum war rund. Als stünde er im Inneren eines gewaltigen Schädels.
Da! Schwacher Lichtschein erschien voraus, eine einzelne Kerze, die einen schwarzen Marmorboden beleuchtete. Er eilte darauf zu. Ja, da war eine Gestalt. Sie kauerte an der knochenweißen Wand. Es war eine Frau mit silbrigem Haar, die nur ein dünnes weißes Unterhemd trug.
Sie schluchzte jetzt, zitterte und bebte am ganzen Körper. Er kniete neben ihr nieder, und die Bewegung ließ die Kerze flackern. Wie war diese Frau in seinen Traum gekommen? Existierte sie in der Realität, oder war sie ein Produkt seiner Einbildungskraft? Er berührte sie an der Schulter.
Sie schaute ihn mit roten Augen an, ihr Gesicht war eine Maske der Qual, Tränen tropften ihr vom Kinn. »Bitte«, flehte sie. »Bitte. Er hat mich.«
»Wer bist du?«
»Du kennst mich«, flüsterte sie, ergriff seine Hand, klammerte sich daran fest. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Er hat mich. Jeden Abend peitscht er meine Seele wieder aus. Oh, bitte! Es soll aufhören.« Die Tränen strömten nun schneller.
»Ich kenne dich nicht«, sagte Rand. »Ich …«
Diese Augen. Diese wunderschönen, schrecklichen Augen. Er keuchte auf, ließ ihre Hand los. Das Gesicht war anders. Aber diese Seele war ihm bekannt. »Mierin? Du bist tot. Ich sah dich sterben!«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich wäre tot. Ich wünschte es. Bitte! Er zermahlt meine Knochen und zerbricht sie wie Zweige, dann lässt er mich sterbend zurück, bevor er mich gerade genug Heilt, um mich am Leben zu erhalten. Er …« Sie unterbrach sich, zuckte.
»Was?«
Sie riss die Augen weit auf und fuhr zur Wand herum. »Nein!«, schrie sie. »Er kommt! Der Schatten im Geist eines jeden Mannes, der Mörder der Wahrheit. Nein!« Sie griff wieder nach Rand, aber etwas zog sie mit einem Ruck nach hinten. Die Wand zerbrach, und sie fiel in die Dunkelheit.
Rand machte einen Satz nach vorn, griff nach ihr, aber er kam zu spät. Er sah noch einen Schimmer von ihr, bevor sie unter ihm in der Dunkelheit verschwand.
Er starrte in die Grube. Er suchte nach Ruhe, konnte sie aber nicht finden. Stattdessen fühlte er Hass, Sorge und Verlangen, das sich einer zischenden Natter gleich in ihm erhob. Das war Mierin Eronaile gewesen, eine Frau, die er einst Lady Selene genannt hatte.
Eine Frau, die die meisten Leute bei dem Namen kannten, den sie selbst angenommen hatte.
Lanfear.
Ein bösartiger trockener Wind blies Lan ins Gesicht, als er die von der Fäule verdorbene Landschaft betrachtete. DerTarwin-Pass war ein breiter und steiniger Durchgang, gesprenkelt mit von der Fäulnis befallenem Messergras. Das hier war einst ein Teil von Malkier gewesen. Er war wieder zu Hause. Das letzte Mal.
Auf der anderen Passseite drängten sich Horden von Trollocs. Tausende. Zehntausende. Möglicherweise sogar Hunderttausende. Leicht zehnmal so viel wie die Männer, die Lan während seines Marsches durch die Grenzlande aufgesammelt hatte. Normalerweise blieben Menschen auf ihrer Seite des Passes, aber das konnte Lan nicht tun.
Er war gekommen, um anzugreifen, um für Malkier zu reiten. Links neben ihm ritt Andere heran, der junge Kaisei von Kandor kam von rechts. Da war ein Gefühl aus weiter Ferne, das ihm in letzter Zeit Kraft gegeben hatte. Der Bund hatte sich verändert. Die Gefühle
Weitere Kostenlose Bücher