Die Ueberbuchte
Freundin.
Damals, in jener Nacht, als Ruth zu Knut gefahren war, sich unaufhörlich, Minute für Minute und Stunde um Stunde ihm näherte, hatte sie kein Auge zugetan. Und sie wusste ganz deutlich, noch so eine Nacht, und sie würde an sich und dem Leben verzweifeln.
Doch wie alles im Leben, begannen auch mit der Zeit die selbstzugefügten Wunden zu heilen – sehr langsam zwar aber in steter Gleichmäßigkeit. Selbst als Ruth ihr vor ungefähr einer Woche mitteilte, dass sie und Knut ihre Hochzeitsreise auf einem Kreuzfahrtschiff erleben würden, nahm sie es bereits ungemein gelassen auf. Auch wenn sich ihr Herz einen Augenblick lang schmerzhaft zusammenpresste, geschah dies mit Sicherheit aus mehrerlei unüberschaubaren Gründen.
Sie selbst hatte sich weitestgehend gefangen, so dass sie ohne größere Wehmut an Ruth und Knut denken konnte, und ihnen ihr gemeinsames Glück mittlerweile herzlich gönnte. Und irgendwann sogar, wenn die Zeit reif dazu war, würde sie den beiden auf der Insel Föhr, wo sie sich niederlassen wollten, einen Besuch abstatten können. Denn bis dahin würde hoffentlich genügend Zeit vergangen sein, um von der Richtigkeit ihres Tuns endgültig überzeugt zu sein. Zumal im Frühjahr eine mehrwöchige Reise nach Asien, vor allem Japan, anstand. Womit sich auf unerklärlicher Weise eine jener Kindheitsträume erfüllen sollte, die am unwahrscheinlichsten, ja am unrealistischsten von allen waren.
Noch während sie mit angemessener Distanz ihrer Vergangenheitsbewältigung nachhing, läutete das Telefon.
Sie nahm den Hörer ab und schon beim ersten Laut, hellte sich ihr bis dahin angespanntes Gesicht freudig auf. »Was für eine glänzende Idee, Herr Björnson! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das freut!«, erwiderte Lena. Sie strahlte. »Gut, ja, in etwa einer Stunde, ich erwarte Sie – ich freue mich!« Und mit einem beflügelnden Schwung legte sie den Hörer auf und warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Sie musste sich sputen, wenn sie bis zum Eintreffen ihres Gastes, Knuts Bruder, der geschäftlich in Leipzig zu tun hatte, und sich dabei an sie erinnerte, einigermaßen empfangsbereit sein wollte.
Übertrieben hastig und ebenso übertrieben genau, fast schon peinlichst genau, räumte sie die Wohnung auf und zog sich eigens für ihn um. Dabei war nicht zu übersehen, wie aufgeregt sie war. Eine Aufgeregtheit, die sie unweigerlich an Knuts ersten Besuch erinnerte – obwohl die beiden Besuche nichts miteinander gemein hatten. Höchstens, das sie Brüder waren und Arne eine gewisse respekteinflößende Persönlichkeit darstellte.
Als Lena dann, eben diesen Mann herzlich an der Tür begrüßte und ihn ins Wohnzimmer geleitete, war nichts mehr von ihrer vorherigen Aufgeregtheit zu spüren. Denn Arnes vornehme, stattliche Gestalt, strahlte eine solche gelassene Ruhe aus, die unweigerlich auf sie überströmte. Dieser Mann hatte Format, dass wurde ihr erst jetzt, innerhalb dieser beengten, sehr einfachen Wohnung richtig bewusst. In diesen eingeengten Rahmen, passte höchsten ein Mann wie Knut, aber nicht dieser Mann … Diese Betrachtung war es dann auch, die Lena unwillkürlich lächeln ließ. Und sie übersah es geflissentlich, dass Arne sie daraufhin fragend ansah.
Nachdem sie den üppig bunten Herbststrauß in die Vase gestellt hatte, nahm sie Arne gegenüber Platz und sagte schlicht: »Es freut mich, dass Sie sich meiner noch erinnert haben.«
»Nun, ich muss gestehen, dass mich Ihre Haltung meines Bruders gegenüber, schon einigermaßen irritiert hat«, bemerkte er ohne Umwege.
Was Lena außerordentlich gefiel, denn das zeugte von einer sachlichen Entschlossenheit und vereinfachte die Situation wesentlich. So musste sie auch nicht erst lang überlegen, um die rechten Worte zu finden. »Ruth, meine Freundin, ist ohne Frage die geeignetere Frau für Knut. Sie genießt den entscheidenden Vorteil, genau mit diesen Eigenschaften ausgestattet zu sein, die mir weitestgehend fehlen.«
»Unsinn! Sie scheuten lediglich die Vereinnahmung.«
Lena horchte auf und schmunzelte amüsiert. »Sie sprechen wohl aus Erfahrung, wie …?«
»Vielleicht, aber das ist es nicht.« Er fuhr mit der äußerst gepflegten Hand, nachdenklich über die Sessellehne, dann wandte er sich ihr wieder zu und fuhr fort: »Vereinnahmung, wenigstens ist das meine persönliche Meinung, ist mit die häufigste Ursache, dass Ehen scheitern oder gar nicht erst entstehen.«
»Wie wahr! Wie wahr!« Sie sah ihn
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