Die Ueberbuchte
ehrlich, Ruth, dass es so gekommen ist, lag doch eher an Knuts derzeitigen Gesundheitszustand, als an deiner angeblichen Anständigkeit, nicht wahr?«
Ruths Wangen färbten sich dunkelrot. Sie senkte den Blick und nestelte nervös an ihrer Bluse herum.
»Weißt du«, fuhr Lena fort, als Ruth keinerlei Anstalten machte zu antworten, »ich bin Realist genug, um der Wahrheit klar und deutlich ins Auge zu sehen«, redete sie widerlich geschwollen daher, so dass sie sich über sich selbst zu ärgern begann und sich verbesserte: »Unsinn, das ist alles dummes Geschwätz! In Wirklichkeit war ich wütend und enttäuscht wie ein kleines Kind. Wohl in erster Linie darüber, weil du als meine beste Freundin, mir den Freund auszuspannen versuchtest – ja es mit Sicherheit auch getan hättest, wenn nicht zufällig seine Krankheit dazwischen gekommen wäre. Immerhin muss ich zu deiner Entlastung bekennen, dass meine abgrundtiefe Eifersucht nichts anderes als eine simple, verletzte Eitelkeit darstellte. – Denn obwohl ich genau wusste, dass ich Knuts Wunsch, mit ihm ein gemeinsamen Leben aufzubauen, mit konsequenter Ablehnung begegnete, habe ich dennoch die Besitzende, und später die Beraubte gespielt. Wobei mir die feine Nuance, dass ich eigentlich gar nicht besitzen wollte, weitestgehend entgangen war.« Über ihre ungewöhnliche wortreiche Ausführung selbst erstaunt, verzog sie verächtlich den Mund und sagte brüsk: »So, nun weißt du es …!«
Ruth saß mit übereinandergeschlagen Beinen, die Hände um’s Knie geschlungen, verkrampft hin und her wippend da; so wie sie es nur zu gern tat, wenn sie innerlich erregt war. Plötzlich löste sie die Hände vom Knie und ließ sich ins Polster zurückfallen, dann sah sie Lena zum ersten Mal direkt an und sagte nachdenklich langsam: »Wie hätte ich es dir denn erklären sollen, dass ich Knut in mein Herz geschlossen habe? – Und zwar von der ersten Minute an.«
Nun war Lena diejenige die schwieg.
Ruth fuhr daher zaghaft fort: »Es hatte sich nun mal so ergeben. Meine Tochter hatte mich gebeten mit zu ihren Schwiegereltern zu fahren, weil sie nicht gern allein fahren wollte. Was lag da näher, als bei dieser günstigen Gelegenheit Knut zu besuchen – zumal er krank war.«
»Aber warum dann diese offene Lüge, ich sei zu meinem Sohn gefahren?«, klagte Lena.
Ruth ließ den Kopf sinken. »Ich weiß nicht, es schoss mir plötzlich so durch den Sinn; es hätte schließlich so sein können. Und mit der Zeit hatte ich mich derart an diesen Gedanken gewöhnt, dass er mir wie wahr vorkam – dass das Unrecht sein könnte, daran habe ich nicht denken wollen.«
»Und Dagmar? Wieso hast du zuerst sie aufgesucht?«
Ruth machte eine hilflose Geste. »Wahrscheinlich auch wieder eine von diesen vagen Eingebungen, die mich zu dieser Zeit anscheinend massenweise heimsuchten, möglicherweise hatte ich mir von ihr irgendeinen Zuspruch erhofft – so eine Art menschlichen Beistand – ebenso von Frau zu Frau. Doch ich habe sehr schnell erkennen müssen, dass sie mir eher misstrauisch gegenüberstand. Sie kehrte natürlich eine total perfekte Gastgeberin heraus, daran war absolut nichts zu deuteln, aber gerade deshalb war der unterschwellige Misston unüberhörbar.«
»Und deine Tochter, was sagte die dazu?«
»Wieso, die war doch gar nicht mit.« Sie korrigierte sich sogleich. »Pardon, natürlich war sie mit, aber nicht bei Dagmar oder Knut; sie hat mich nur da abgesetzt.«
»Ach ja – genau – das hatte Dagmar auch so gesagt. Und dann, wie ging es weiter?«
»Was soll das, Lena?«, fuhr Ruth sie schroff an. »Was willst du jetzt von mir hören? Du weißt doch eh alles!«
»Hm, eigentlich hast du recht«, nickte Lena. »Es gibt wirklich nichts weiter zu sagen.«
Plötzlich fragte Ruth mit gespannt vorgeneigten Oberkörper: »Sag mal, Lena, hast du bei Knut etwa auch seine Schwägerin kennengelernt?«
»Natürlich.«
»Und? Warst du auch in deren Wohnung?«
»Ja natürlich – warum fragst du?«, stellte sich Lena unwissend.
»Na ja, ich dachte ja nur so.« Sie zögerte und musterte Lena unsicher aus den Augenwinkeln heraus. »Auch wenn’s reichlich blöd klingen mag, aber ich habe noch nie so eine Wohnung gesehen. So viel Eleganz und Reichtum auf einen Haufen, das hat mich fast umgehauen«, sagte sie voller Bewunderung und Abscheu zugleich.
Lena schmunzelte amüsiert.
Doch Ruth konnte sich kaum bremsen, es drängte sie, diese für sie ungeheuerliche Wahrnehmung
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