Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Todes sterben werden. Und Sie werden sich die nächsten beiden Wochen darüber Gedanken machen müssen, ob es all die zusätzlichen Jahre wert ist, während derer Sie wissen werden, dass Ihr Tod unvermeidlich durch eine Krankheit, durch Verhungern oder durch eine Kugel herbeigeführt werden wird.«
Ich stellte mir sofort vor, wie ich in einer Gasse niedergeschossen wurde und wie der rauchende Lauf des Revolvers das Letzte war, das meine Augen jemals sehen würden. Dann veränderte sich das Bild, und ich lag als Fünfundachtzigjähriger auf meinem Sterbebett, während fette Krankenschwestern meine verrottete Haut mit einem Schwamm wuschen.
»Ich glaube, der Großteil der Menschen stirbt keines natürlichen und friedlichen Todes«, sagte ich. »Alle geliebten Menschen, die ich sterben gesehen habe, waren krank, schwach und hilflos. Sie mussten sich einer Chemotherapie unterziehen. Sie lagen im Krankenhaus. Sie haben ins Bett gemacht. Zwei meiner Großeltern starben allein, ohne dass sie jemanden zum Reden gehabt hätten. Ich glaube nicht, dass es sich bei einem natürlichen Tod um eine sanfte Erlösung handelt. Ich denke, es ist ein langsamer, auszehrender Prozess, dem ich aus dem Weg gehen möchte.«
»Okay.«
Er stand auf und bedeutete mir, dasselbe zu tun.
»Wie viele Ihrer Patienten sind nach zwei Wochen wiedergekommen und haben Ihnen eröffnet, dass sie sich nicht behandeln lassen wollen?«
»Oh, ich denke, Sie kennen die Antwort auf diese Frage bereits. Kommen Sie. Wir werden Ihnen in meinem Labor etwas Blut abnehmen.«
Er ging mit mir in die offene Küche des Apartments. Die Schränke und Kommoden waren allesamt weiß, sie waren vor Jahren mehr schlecht als recht gestrichen worden, und dicke Striemen der Farbe waren mitten auf den Möbeln getrocknet. In den Schränken, wo üblicherweise Teller, Gläser und ähnliche Utensilien standen, befanden sich medizinische Hilfsmittel: Tupfer, Mullbinden, Spritzen, Skalpelle, Zungenspatel usw. Ich wunderte mich über die Tatsache, dass keine Nahrungsmittel oder Gegenstände zur Essenszubereitung vorhanden waren. Er holte rasch alles hervor, was er brauchte, um mir Blut abzunehmen, und schlang eine Aderpresse um meinen Arm.
»Was machen Sie, wenn Sie hier drin etwas essen wollen?«, fragte ich ihn.
»Ich esse niemals hier drin. Erzählen Sie mal, was machen Sie denn beruflich?«
»Ich bin Anwalt.«
»Du liebe Zeit, noch ein Anwalt. Ich sollte aufhören, euch zu behandeln. Das Letzte, was wir brauchen, ist ein Haufen gottverdammter Anwälte, die für immer und ewig hier unten herumhängen. Hier kommt die Nadel.«
Er zog meinen Arm zu sich, schlug fest gegen meinen Unterarm und nahm eine große Ampulle Blut ab. Ich hatte mir zuvor noch nie Gedanken über mein Blut gemacht. Es war für mich bloß eine Flüssigkeit, die ab und zu aus meinem Körper floss und mich dann immer in große Panik versetzte. Mehr nicht. Nun starrte ich das Blut an, das in die Ampulle strömte, und das Rot war dunkel, satt und unverwechselbar. Viele hatten bereits versucht, diese Art von Rot als Farbe oder Lippenstifttönung wiederzugeben, doch es war nie wirklich gelungen. Es sah so lebendig aus, als würde es pulsieren. Aktiv. Vital. Wenn alles nach Plan verlief, so dachte ich, dann würde es bald noch lebendiger zu mir zurückkehren.
»Darf ich Sie etwas fragen, Doc?«
»Natürlich.«
»Was für ein Arzt sind Sie eigentlich? Womit verdienen Sie offiziell Ihr Geld?«
»Orthopädie.«
»Aha.«
»Ich wäre beinahe plastischer Chirurg geworden, doch dann habe ich es mir doch anders überlegt. Gott sei Dank. In Zukunft werden die Jungs nur noch Fett absaugen.«
»Also haben Sie eine erfolgreiche Praxis? Ich nehme an, Sie verdienen gutes Geld mit Ihrem offiziellen Job?«
»Ja.«
»Warum machen Sie dann das hier? Warum machen Sie mehr, als notwendig ist? Warum riskieren Sie, Ihre Zulassung als Arzt zu verlieren, um das hier zu tun? Verdammt, Sie riskieren Ihr Leben . Was haben Sie davon, außer dass Sie zusätzliches Geld verdienen, das Sie nicht wirklich brauchen?«
Er grinste. »Nun, John, mit diesem Heilmittel habe ich die Möglichkeit, jedem zu einem Leben zu verhelfen, das Tausende Jahre andauern kann – vielleicht sogar für immer. Sagen wir, es weckt meine Neugier.«
Er verband meinen Arm.
»Mir wachsen jetzt aber keine Fangzähne, und ich muss auch nicht in einem Sarg schlafen, hoffe ich?«
»Nein, dafür ist ein anderes Gen zuständig. Wollen Sie, dass ich dieses Gen
Weitere Kostenlose Bücher