Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
verändere?«
»Nein, danke.«
»Nun, dann sind wir fertig. Ich trage Sie für heute in zwei Wochen zur selben Zeit ein. Sie brauchen nicht anzurufen, um den Termin zu bestätigen. Kommen Sie einfach mit dem Geld vorbei – keine größeren Scheine als fünfzig Dollar bitte –, und ich werde da sein.«
(Nebenbei bemerkt: Die Behandlung kostet insgesamt siebentausend Dollar. Nicht schlecht!)
Ich ging zur Tür. Vier Millionen weitere Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Ich hätte sie alle gleichzeitig stellen wollen. Stattdessen fiel mir bloß eine ein.
»Eins noch.«
»Natürlich«, sagte er.
»Haben Sie sich selbst deaktiviert?«
»Selbstverständlich habe ich das.«
»Aber Sie sind älter als fünfunddreißig.«
Er zuckte mit den Schultern. »Na ja, damit kann ich leben. Wir sehen uns in zwei Wochen, John.«
Er winkte mir zum Abschied flüchtig zu, dann schloss er die Tür. Ich ging zurück auf die Straße. Während mir Blut abgenommen worden war, war ein gewaltiges Gewitter auf- und wieder abgezogen, und nun leuchtete der Himmel in dieser kränklichen Farbe, die zurückbleibt, wenn sich ein Unwetter im Zwielicht des Sommers verzieht. Es ist ein beunruhigendes Licht. Beinahe dunkelbraun, als würde sich der Himmel nicht wohlfühlen. Ich war zwischen der vollkommenen Finsternis des Gewitters und den letzten Funken des Tageslichts gefangen.
Ich eilte nach Hause. Und hier sitze ich nun, einen Tag später, im behaglichen Wartezimmer der Unsterblichkeit.
GEÄNDERT AM:
07.06.2019, 8:47 Uhr
»Der Tod ist das Einzige, das uns im Gleichgewicht hält.«
Es ist mir bewusst, dass es bloß Zufall ist, dass der Papst gerade während meiner zwangsverordneten Nachdenkpause eine offizielle Erklärung abgibt, in der er alle unsterblichen Menschen in die Hölle verdammt. Dennoch bereitet es mir einiges Unbehagen.
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Der Vatikan droht allen, die sich deaktivieren lassen, mit Exkommunikation
Von Wyatt Dearborn
Budapest (Associated Press) – Heute veröffentlichte der Papst eine Erklärung, in der er das sogenannte Heilmittel gegen den Tod auf bisher schärfste Weise verurteilt. Er bezeichnet es nun zum ersten Mal offiziell als Sünde und kündigt an, jeden, der es sich verabreichen lässt, ein für allemal aus der Römisch-Katholischen Kirche auszuschließen. Dies schließt auch Priester mit ein.
Es ist kein Zufall, dass sich der Pontifex, der sich gerade auf einer mehrwöchigen Freundschaftsreise durch Osteuropa befindet, dazu entschloss, diesen Erlass gerade in Budapest zu veröffentlichen. Ungarn ist neben Russland, Brasilien und den Niederlanden einer der vier Industriestaaten, die das Heilmittel zur Deaktivierung des Alterungsprozesses offiziell legalisiert haben.
»Dieses Heilmittel ist ein Affront gegen unseren Herrn und seine Schöpfung«, erklärte der Pontifex vor beinahe fünfundsiebzigtausend Menschen im Puskás-Ferenc-Stadion. »Mehr noch, es ist ein Affront gegen unsere Mitmenschen. Werden wir uns unseren Mitmenschen gegenüber noch zwingend verantwortlich fühlen, wenn wir wissen, dass wir dem Richtspruch Gottes für alle Ewigkeit aus dem Weg gehen können? Die Aussicht auf unseren Tod ist es, die uns unserem Herrn demütig gegenübertreten lässt – das Wissen, dass unser Leben früher oder später enden wird und dass wir uns dann vor IHM dafür verantworten müssen. Wenn wir uns nicht vor IHM verantworten müssen, wer tritt dann an seine Stelle? Der Tod ist das Einzige, das uns im Gleichgewicht hält.«
Danach sprach der Papst eine Warnung aus: »Ihr könnt Gottes Richtspruch nicht entgehen. Nicht einmal, wenn ihr hunderttausend Jahre lebt. Unser Planet und die Sonne, die auf ihn herableuchtet, sind beide vergänglich. Hier unten gibt es keine Ewigkeit, und etwas anderes zu glauben wäre Blasphemie. Das ist der Grund, warum der Vatikan von nun an die Deaktivierung des Alterungsprozesses als Sünde ansieht. Als ein unverzeihliches Vergehen, das die Exkommunikation zur Folge hat.«
Die Zuhörer reagierten größtenteils mit schweigender Ehrfurcht auf die Worte des Papstes, doch vor dem Stadion protestierten Tausende Menschen, beinahe ausschließlich Teenager und Männer und Frauen in den Zwanzigern.
»Der Papst hat uns nicht verdammt«, konterte Sasha Delvic, eine dreiundzwanzigjährige Studentin. »Es ist seine Kirche, die er gerade verdammt hat – nämlich zu einem Leben in Dunkelheit. Wie kann er erwarten, dass die Menschen, die seinem
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