Die Unvollendete: Roman (German Edition)
»Für Sie ist der Krieg zu Ende«, ein Satz, den nahezu jeder Flieger hörte, wenn er gefangen genommen wurde.
Er hatte seine Kriegsgefangenenkarte pflichtgemäß ausgefüllt und wartete auf einen Brief von zu Hause, aber es kam keiner. Zwei Jahre lang fragte er sich, ob er auf der Gefangenenliste des Roten Kreuzes stand, ob sie zu Hause wussten, dass er lebte.
Sie waren auf einer Straße irgendwo vor Hamburg, als der Krieg vorbei war. Vic sagte mit großem Vergnügen zu den Wachen: »Ach so, mein Freund, für Sie ist der Krieg zu Ende.«
»Und, Ted, hast du mit deinem Mädchen gesprochen?«, fragte Vic, als Teddy von der Bar zurückkam, wo er die Wirtin so lange bezirzt hatte, bis sie ihn das Telefon des Pubs hatte benutzen lassen.
»Ja, habe ich«, sagte er und lachte. »Offenbar haben sie mich für tot gehalten. Ich glaube, sie hat nicht geglaubt, dass ich es bin.«
Eine halbe Stunde und zwei Bier später sagte Vic: »Schau mal, Ted. So wie sie lächelt, würde ich sagen, dass die Frau, die gerade zur Tür hereingekommen ist, wegen dir da ist.«
»Nancy«, sagte Teddy leise.
»Ich liebe dich«, formte Nancy an der Tür lautlos mit den Lippen.
»Oh, und sie hat eine kleine Freundin für mich mitgebracht, wie aufmerksam«, sagte Vic, und Teddy lachte und sagte: »Nimm dich in Acht, das ist meine Schwester.«
Nancy drückte die Hände so fest zusammen, dass es weh tat, aber der Schmerz war unwichtig. Er war da, er war wirklich da, saß an einem Tisch in einem Londoner Pub, trank ein englisches Bier, lebensgroß. Nancy gab einen komischen geschluchzten Laut von sich, und Ursula zwang sich, nicht laut herauszuschreien. Sie waren wie die zwei Marias, sprachlos angesichts der Wiederauferstehung.
Dann sah Teddy sie und grinste übers ganze Gesicht. Er sprang auf, stieß dabei fast die Gläser auf dem Tisch um. Nancy drängte sich durch die Menschenmenge und schlang die Arme um ihn, aber Ursula blieb stehen, wo sie war, plötzlich besorgt, dass sich alles in Luft auflösen, die glückliche Szene vor ihren Augen in Stücke zerbrechen würde, wenn sie sich bewegte. Aber dann dachte sie, nein, es ist wirklich, es ist wahr, und sie lachte aus schierer Freude, als Teddy Nancy lange genug losließ, um Habtachtstellung einzunehmen und für Ursula zu salutieren.
Er rief ihr etwas zu, aber seine Worte gingen im Lärm unter. Sie glaubte, dass es »danke« gewesen war, aber vielleicht täuschte sie sich auch.
Schnee
11. Februar 1910
M rs. Haddock nippte an einem Glas mit heißem Rum auf eine, wie sie hoffte, damenhafte Weise. Es war ihr drittes Glas, und sie begann innerlich zu glühen. Sie war unterwegs zu einer Geburt gewesen, als der Schnee sie gezwungen hatte, im Nebenraum des Blue Lion, kurz vor Chalfont St. Peter, Zuflucht zu suchen. Es war kein Ort, den sie unter normalen Umständen aufgesucht hätte, doch im Kamin prasselte ein Feuer und die Gesellschaft erwies sich als ausgesprochen fröhlich. Zaumzeugbeschläge und Kupferkrüge funkelten und glänzten. Vom Nebenraum aus sah sie jenseits der Theke die öffentliche Kneipe, wo der Alkohol besonders freizügig zu fließen schien. Dort ging es rüpelhafter zu. Im Augenblick wurde ein Lied angestimmt, und Mrs. Haddock staunte, als sie feststellte, dass sie mit dem Fuß den Rhythmus mittippte.
»Sie sollten den Schnee draußen sehen«, sagte der Wirt und neigte sich über die breite polierte Messingtheke. »Wir könnten hier tagelang feststecken.«
»Tagelang?«
»Sie trinken besser noch ein Gläschen Rum. Sie werden heute Nacht nicht mehr von hier wegkommen.«
Dank
I ch möchte folgenden Personen danken:
Andrew Janes (National Archives in Kew)
Dr. Juliet Gardiner
Lieutenant Colonel Michael Keech (Royal Signals)
Dr. Pertti Ahonen (Institut für Geschichte, Universität von Edinburgh)
Friderike Arnold
Annette Weber
Und meinem Agenten Peter Straus und Larry Finlay, Marianne Velmans, Alison Barrow und allen bei Transworld Publishers sowie Camilla Ferrier und allen Mitarbeitern der Marsh Agency.
Leser, die mehr über dieses Buch wissen möchten, mögen meine Website aufsuchen: www.kateatkinson.co.uk
Über Kate Atkinson
Kate Atkinson, 1951 geboren, studierte Literaturgeschichte in Dundee und begann neben ihrer Arbeit in der Sozialbetreuung und als Teilzeitlehrerin zu schreiben. Sie steht mit ihren Romanen in England und den USA regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Für Familienalbum wurde sie mit dem angesehenen Whitbread First Novel Award
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