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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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zu, die Sehnsucht nach euren Hängen aus Licht und Schatten, nach euren menschlichen undmetaphysischen Räumen … De Chirico konnte nur Italiener sein.«
    »Ihr Italienisch ist besser geworden, wenn das überhaupt möglich ist.«
    »Die Ferne ist ein guter Lehrmeister. Nur was man verloren hat, vermag man ganz und gar zu durchdringen.«
    »Sind Sie nicht mehr nach Sizilien zurückgekehrt?«
    »Nein, mir genügten die Verwüstungen, die ich in Rom und Neapel gesehen habe. Ich fürchte, nicht mehr das Land vorzufinden, für das unser Goethe schwärmte, unser Land. Das Land und die Kunst sind nur für den, der sie versteht. Ist De Chirico Sizilianer, Fürstin?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Er muß es sein, denn Sizilien ist der Schlüssel zu allem … Wir hätten aus eurer Insel einen Garten gemacht, und nicht eine Müllhalde – sagt man so? –, wie ich sie in Neapel gesehen habe. Aber warum von der Vergangenheit reden? Die strahlende Sonne vertreibt die Wolken und drängt uns in die Zukunft, und die Zukunft wird uns gehören. Schade nur um die dreißig verlorenen Jahre. Wir hätten schnelle Arbeit geleistet, sauber und wissenschaftlich und nicht mit diesem langsamen Aderlaß, der sich Demokratie nennt. Hitler wurde verraten, aber sein Traum wird trotzdem wahr werden: ein unter germanischem Geist vereintes Europa … Müßt Ihr schon gehen, Fürstin?«
    »Ja, ich muß jetzt wirklich gehen.«
    »Ihr zittert ja, das ist meine Schuld, ich habe Euch zu lange aufgehalten. Hier am Bosporus habe ich manchmal das Gefühl, im lieblichen Palermo zu sein. Palermo … lieblich und erhaben liegt es wie in einer Wiege zwischen den rosafarbenen Spitzen seiner Berge … doch sobald dieSonne versinkt, fegt mich der kalte Barbarenwind der fernöstlichen Ebenen in die Wirklichkeit zurück.«
    Mir ist kalt, und ich will ihm nicht länger zuhören, ihm nicht länger in die Augen schauen. Ich muß nach Catania zurück. Mir ist kalt, und ich verstehe nicht, warum ich diesem schleimigen Wesen mit den Schlangenaugen zuhöre.
    Bambú: »Carluzzu, Carluzzu, was ist passiert?«
    Carlo: »Ich weiß es nicht, sie ist plötzlich wieder in den Schlaf gefallen.«
    Bambú: »Und du stehst einfach da und unternimmst nichts?«
    Carlo: »Großmutter, Großmutter, um Himmels willen!«
    Bambú: »Sie macht die Augen auf, Carlo, sie macht sie auf! Lauf und hol einen Arzt, schnell!«
    Der »Economist« ist heruntergefallen. Sein Titelblatt, das mir einen Ausschnitt meiner Zukunft gezeigt hat, ist zum Boden gekehrt, auf der Rückseite sieht man eine grelle Reklame für ein tropisches Getränk zwischen Sand und Palmen … Die Begegnung folgte später, sehr viel später, als ich die Kunst zu reisen erlernte, glücklich zu sein in der Betrachtung einer Vase, einer Statue, einer Blume … In meinem rastlosen Lebenshunger war ich immer mit dem Geist zu weit vorausgeeilt.
    Bambú: »Modesta, Tante, was ist passiert?«
    Modesta: »Nichts, Bambú, ein kleiner Schwächeanfall, ich habe zuviel geschlafen. Hilf mir hoch, du wirst sehen, mit einem schönen Bad und einem Espresso …«
    Bambú: »Ein Arzt, meine Liebe! Dieses eine Mal, entweder läßt du dich von einem Arzt untersuchen, oder ich werde ernsthaft böse, Tante! Warum bist du schon zurück,Carlo? Ich hatte dich doch gebeten, einen Arzt zu holen.«
    Carlo: »Ruhig, Bambú, wir haben Glück! Ich wollte ja gerade einen suchen, aber wo nur? Seit Antonio tot ist, ist kaum mehr einer zu finden! Das war so beruhigend, einen Hausarzt zu haben, der jeden Abend vorbeischaute … Wie schön das war, warum ist er nur gestorben?«
    Bambú: »Wenn er doch nun mal achtzig war, Carlo, du treibst mich in den Wahnsinn! Ist das deine Art, dich zu kümmern?«
    Nina: »Jetzt seht sie euch nur an, wie gut es ihr geht, sie lacht sogar … Komm, Marco, da liegt sie, unser starkes Mädchen.«
    Bambú: »Oh, Nina! Verzeih, wenn ich dich nicht begrüße, aber ich muß einen Arzt finden.«
    Carlo: »Aber da ist er doch schon! Marco ist Arzt, das habe ich doch gesagt …«
    Bambú: »Hast du nicht, Carluzzu! Wann hörst du endlich auf zu glauben, du würdest etwas sagen, ohne es zu tun.«
    Carlo: »Habe ich denn nicht gesagt, daß ich Nina und Marco am Tor getroffen habe und sie fragten: ›Wo rennst du hin?‹, und ich: ›Ich suche einen Arzt und blablabla‹? Komm schon, die Kurzversion, Bambú, sei nicht so altmodisch!«
    Bambú: »Hören Sie, Marco, Sie müssen sie untersuchen.«
    Carlo: »Aber sie hat nichts, Bambú, es ist doch

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