Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
von Pietros bedächtigen Schritten. Kann sein.
Ich öffne die Augen, um die Botschaft zu entziffern, doch ich begegne einem ruhigen Blick, wie nach innen gerichtet, als lausche er einer Melodie. Dieser Blick läßt mich meinen Kopf an seine Schulter legen und mit ihm zusammen lauschen.
»Du hast eine Lebensintensität, Modesta, die ich nun begreife, da ich dir das ganze Jahr gefolgt bin.«
»Du bist mir gefolgt, Marco?«
»Ja. Allerdings ohne es selbst zu wissen. Ich war fasziniert von deiner Art zu reden, deiner Art zu schweigen. Auch eben hast du geschwiegen, aber an deinem Gesicht sah man, daß du nachdachtest. Worüber, Modesta?«
»Mich hatte gerade eine große Neugier auf den Tod gepackt. Ja, so als verberge sich hinter diesem Wort ein weiteres biologisches Abenteuer, die ich weiß nicht wievielte Verwandlung, die uns erwartet, Marco, mich, dich, Nina.«
»Das macht mir angst …«
»Sicher, aber es macht doch auch unendlich neugierig. Du bist ein Mann, Marco, du weißt nichts über die Verwandlungen deines Körpers, oder du wußtest es einst und hast es in der Eile des Tuns vergessen, und nun zitterst du angesichts dieses Wortes. Aber wenn du mich umarmst, werde ich, eine Frau, dir helfen, dich zu erinnern und das nicht zu fürchten, was sich ändern muß, um am Leben zu bleiben.«
Während er sich an mich preßt, verebbt sein Zittern, und die ewige elektrisch geladene Hitze steigt in Wellen zwischen seinem und meinen Körper auf, bis sich der Genuß von seinen in meine Augen ergießt. Endlich verstehe ich es, nachdem ich so viele Dinge im Leben gelernt habe, doch nie, die Liebe vorauszusehen … Kann man die Liebe voraussehen, Mimmo? »Du kannst die Intelligenz deiner Mitmenschen einschätzen, die Wege der Geschichte vorausahnen, selbst das Schicksal – ich gestehe es dir zu, selbst das Schicksal –, doch niemals die Liebe!« Und wenn Carmine es mir nicht sagte, woher sollte ich wissen, daß die Gleichgültigkeit, die ich für diesen Mann zu empfinden glaubte, die Lustlosigkeit, der Überdruß nichts anderes waren als der Versuch, vor der geheimnisvollen Aufgabe zu fliehen, die uns immer in Furcht versetzt und die noch kein Skalpell der menschlichen Spekulation je hat sezieren können?
»Wie hätte ich es dir sagen sollen, Modesta, wenn ich es selbst nicht wußte? Aber nun, wo wir es entdeckt haben, können wir, wenn du möchtest, uns eine Weile lang begleiten. Ich bin seit vielen Jahren allein und bin es müde, allein durch die Welt zu gehen. Möchtest du mit mir kommen?«
Und so, mit einer einfachen Geste und Ninas Hilfe, machte das Leben mir das schönste Geschenk, das je ein kindliches Gehirn erdacht hat. Und an diesem Mann, den ich irrtümlicherweise für einen ehemaligen golden boy gehalten hatte, der in Wohlstand und Überdruß gealtert war, entdeckte ich Tag für Tag, Jahr für Jahr einen Reichtum an Erfahrung und Wissen, wie nur ein reifer Körper ihn besitzen kann.
Von ihm erfuhr ich, daß ich meine Insel nicht kannte, ihren mächtigen Leib, sichtbar und geheim, ihren warmennächtlichen Atem, der Stein auf Stein fügt, bis die Seele der Trockenmauer zu einem einzigen festen Block gebrannt ist, den mystischen Atem, der die Säulen der Tempel am Leben erhält und sie bei Sonnenuntergang erschauern läßt: »Hier, Mody, hier, wo sich der Stein weitet, atmet die Säule, und es entsteht der visuelle Effekt des Schwebens«; das weiße Schweigen der verlassenen Thunfischhütten, vom Meer und den Menschen verstoßen, doch immer noch heimgesucht von den Geistern der Thunfische, die hier verweilen, um den Grund ihres Lebens und Sterbens zu begreifen; die ewigen Meeresströme, die um die Insel ineinanderfließen und sie mal umschließen, mal freigeben, nie gleich in Intensität und Farbe: »Der smaragdgrüne Streifen dort hinten ist das afrikanische Meer.«
Von ihm lernte ich die mir bis dahin unbekannte Kunst, mein Land zu betreten und hinter mir zu lassen, es für eine Weile zu vergessen, über Kontinente und Ozeane zu reisen, um es dann immer neu und immer reicher an Erinnerungen und Empfindungen wiederzuentdecken. Und was soll ich über unsere Abende und Nächte sagen? Könnte ich sie nur festhalten! Allein miteinander, die Hände verschränkt, die Blicke ineinander ruhend, tauschten wir Eindrücke, Empfindungen, Worte.
»Soviel Aufhebens wird um die erste Liebe gemacht, was, Marco? Es ist gelogen wie alles andere auch.«
»So ist es, Modesta, auch ich hätte das nie gedacht, und leider
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