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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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werden wie Bambú?«
    »Aber was hat es denn bloß mit dieser Schläfrigkeit auf sich, Mody? Ich …«
    »Ich bitte dich, Nina, mir geht’s gut. Das hat dein Freund uns doch bestätigt.«
    »Also, als Freund vertraue ich Marco völlig, aber als Arzt schon etwas weniger.«
    »Mach mich vor Mody nicht schlecht, Nina. Immerhin habe ich meinen Militärdienst als Arzt geleistet.«
    »Ja, in Afrika, das will wirklich etwas heißen! Und außerdem war das ja nicht gerade gestern! Wahrscheinlich hast du längst alles vergessen.«
    »Als Arzt wird man geboren, ebenso wie man beschränkt geboren wird, sagt ihr nicht so?«
    »Ja, wie du weißt.«
    »Beschränkt wie du.«
    »Das kannst du so nicht sagen, was deine Physis betrifft, wie Carluzzu es nennt, so bewundere ich sie uneingeschränkt. O Mody, es ist immer ein tolles Erlebnis, mit Marco spazierenzugehen, alle drehen sich nach ihm um.«
    »Tja, das ist eben Klasse, Nina, wahre Klasse setzt sich durch.«
    Sie necken sich wie alte Freunde, und zu meiner Überraschung stelle ich fest, daß seine Stimme in meinem Ohr wie ein Refrain klingt, den ich einmal kannte und dann vergessen habe.
    »Es kommt einem vor, als sei er einer von uns, stimmt’s, Modesta?«
    »Schon, aber wo hast du ihn kennengelernt?«
    »Irgendwo bei den Sternen, Kätzchen … Mist, es ist spät geworden! Beim Stichwort Sterne ist mir eingefallen, daß ich noch eine Verabredung habe. Ich muß mich umziehen gehen … Nein, Marco, warum stehst du auf? Bleib hier, ich lasse mir vom Gärtner ein Taxi rufen.«
    Ich möchte mit Nina kommen, unter anderem weil sich dicke Wolken über die Stirn des Propheten gelegt haben, und sein Gesicht macht mir angst, wenn es zornig wird. Aber Marco schweigt, sein Schweigen klingt vertraut, und außerdem scheint er alles über uns zu wissen, wenn er jetzt ganz leise sagt:
    »Ich teile Ninas Meinung. Diese Villa ist angenehmer als Carmelo. Es war richtig, daß Bambú sie zurückgekauft hat. Welche Freude in ihren Augen leuchtete, als sie mir sagte: ›Gehen Sie dorthin, Marco, und schauen Sie selbst, wie schön die Villa unserer Kindheit ist! Sie werden sehen, jedes Zimmer hallt wider von unseren Gesängen und Spielen.‹ Außerdem ist es eine Art, in dieser ganzen Zerstörungswut, die jedermann ergriffen zu haben scheint, wenigstens etwas zu bewahren. Ich möchte sie fotografieren, Bambú hat mir die Erlaubnis dazu gegeben.«
    Ich habe keine Lust zu reden, vielleicht machen sich die anderen zu Recht Sorgen um mich, und ich höre, wie ich mühevoll sage:
    »O Marco, haben Sie etwa auch Freude daran, der Vergangenheit nachzutrauern? Es scheint fast schon in Mode zu sein, dieses Nachtrauern, eine wahre Plage.«
    »Nein, ich trauere der Vergangenheit nicht nach, aber ich glaube seit einiger Zeit die Lüge durchschaut zu haben, die sich hinter dem Wort Fortschritt verbirgt, und ich tröste mich, indem ich umhergehe und Dinge fotografiere, die bald nicht mehr dasein werden … die letzten Trattorien in Rom, die letzten kleinen Kneipen … Ich habe Hunderte von Fotos von der Civita, sie haben Gasse für Gasse abgerissen, Haus für Haus.«
    »Wie kommt es, daß Sie so gut Italienisch sprechen?«
    »Ganz einfach, meine Mutter war Sizilianerin, mein Vater Engländer. Und den Kampf, den Eltern immer ausfechten, um ein Kind ganz für sich zu haben, hat meine Mutter gewonnen, das ist alles. Und das hat den Abbruch meiner Ausbildung mit sich gebracht, die mein Vater wünschte, in meinem Fall zum Arzt, und die Rückkehr in das mütterliche Eden.«
    »Armer Marco, dieser Weg ist Sie wahrscheinlich teuer zu stehen gekommen.«
    »Wie alle Außenseiter: Hunger, ein Beruf nach dem anderen, Abenteuer.«
    »Jetzt weiß ich wieder, Nina wollte diesen Winter unbedingt, daß ich Sie kennenlerne, und als Lockmittel sagte sie immer: ›Mein Marco ist ein einziges Abenteuer!‹«
    »Nina übertreibt gerne, letztlich bin ich nur ein Fotograf … Aber Sie frieren, Modesta.«
    Ja, ich friere, und aus Dankbarkeit für sein Schweigen lasse ich zu, daß er meine Hände nimmt und mir aus dem Sand aufhilft, der in meinem Rücken bereits feucht wird. Als ich stehe, ist mir schwindelig – ich scheine wirklichkrank zu sein –, und es erstaunt mich nicht, daß er mich eng an seine Brust drückt, um mich zu stützen. Vielleicht wollte der Sensenmann genau hier eine Verabredung treffen, an unserem Strand, über dem noch der Widerhall von Kindergeschrei liegt, vom Flattern Beatrices weißer Röcke, von Carlos Stimme,

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