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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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und tief vor dem Geheimrat und hielt ihm anmutig mit beiden Händen den Pokal entgegen. Der nahm ihn in Empfang, tiefernst, mit Händen, die ein wenig zitterten. Und als Helmut ihm den Becher abgenommen hatte, ihn zu füllen, blieb er noch eine feierliche Sekunde ohne Worte, hob wieder die Hand und glitt damit über Martin Füeßlis kurz geschorenes heißes Haar. Er wartete, bis seine Stimme fest geworden war, dann, fast leise, begann er:
    »Wenn die Jugend Taten findet, soll das Alter schweigen. Und wir schweigen gern. Denn Sie, meine Herren, Sie sind jetzt weiser als wir. Anstatt aus Büchern und Erfahrungen, wie wir es Sie lehren wollten, schöpfen Sie sich Begeisterung aus der lebendigen, nie versagenden Quelle des Gefühls.
    Endlich einmal wieder!
    Lange ist es in Deutschland verschüttet gewesen, das Gefühl, dieser Urquell deutscher Kraft. Man hatte verlernt seinem Herzen zu vertrauen, man traute nur noch seinem Kopf und seinem Körper. Klugheit, Geschicklichkeit waren die neuen Götter; Seele, Gemüt Spottnamen geworden. Uns Alten, die wir Deutschland kannten, als es noch das Land der Philosophen und Idealisten hieß, uns tat das weh. Wir suchten manchmal nach dem alten, tiefverborgenen Quell. Aber man hatte ihn so vorsichtig ummauert, daß er versiegt schien. Nur Toren und recht alten Leuten zeigte er sich manchmal noch in ihren Träumen, der alte Quell deutschen Gefühls. Elementarer Erschütterungen aber bedurfte es, um seiner Kraft wieder zum Licht zu helfen, so daß er dem ganzen Volke sichtbar werde.
    Und nun,« mit einer ergreifenden Bewegung hob er jugendlich adorantisch den Pokal hoch, als wolle er Ströme darin auffangen, »nun rauscht er wieder und ich höre ihn. Das große Wecken, auf das die Besten hier im Elsaß lange hofften, ist ertönt, die so oft übermalte Urschrift, von der die Weisen wußten, Elsaß' Deutschtum ist wieder lebendig geworden! Hell flammt sie auf in großen, heiligen Zügen, die alte, unverloschene, deutsche Schrift. Daß sie sich nicht wieder verberge und verfremde, das steht zur Entscheidung in diesem Kriege. Und ihr seid es, die Jugend, die diese Entscheidung fällen wird. Für Elsaß und das ganze Deutschland!«
    Er trank ihnen zu. Ein unbeschreiblicher Tumult erhob sich. Schreie des Muts und der Begeisterung wurden laut, dazwischen kreiste feierlich der schimmernde Pokal von Mund zu Mund. Und dann sangen die Studenten. Ein trotziges Lied in wuchtigem Rhythmus: »Burschen heraus!« Sie glühten vor mannhafter Lust. Auch als sie am langen Eßtisch saßen und tafelten und tranken, lag noch das Schimmern einer Feierstunde über ihnen.
    Martin ging wie ein Berauschter umher. Er ging zu Vater und Mutter und küßte sie, er blieb vor Helmut stehen und küßte auch den. »Du!« Dann Dora, Hanna. »Du!« Dora schloß die Augen und lächelte, als Martin seinen Mund auf ihren drückte. Hanna stand regungslos. Dann küßte sie ihn wieder. »Du!« sagte sie ernsthaft.
    Er sah sie an, betroffen, wie erwachend. Dann nahm er ihre Hand und hielt sie fest in den beiden seinen gefaltet. –
    »Ich muß nun gehen, Mutter,« sagte Helmut zur Frau Hauptmann.
    Ihr Gesicht wurde fahl. Starr sah sie ihn an, mit vor Leid harten Augen. »Komm mir gesund zurück, mein Junge, und halt' dich brav!«
    Er küßte ihr die Hand. Da schloß sie ihn ganz fest in die Arme. Dora hing sich ihm um den Hals und schluchzte. – –
    Die Studenten verabschiedeten sich. Draußen im Garten stellten sie sich noch einmal auf und sangen das alte Lied, daseben wieder neu sich auf allen deutschen Lippen wiedergefunden hatte. »O Deutschland hoch in Ehren, du heil'ges Land der Treu'.« »Haltet aus, haltet aus im Sturmgebraus,« klang es verhallend, als sie abzogen.
    Die Zurückgebliebenen standen am Fenster und sahen ihnen nach. Françoise hielt die Hand der Frau Hauptmann, die eiskalt war. Dora weinte laut. Sie blickte dabei auf Martin und Hanna, die still beieinander standen. Auch Pierre und Françoise sahen zu ihnen hinüber.
    »Nun hat das Elsaß auch mit Deutschland sein vaterländisches Erlebnis gehabt,« sagte Hummel zu Pierre, an ein Wort anknüpfend, das er von ihm im Gedächtnis hatte seit ihrer letzten Begegnung damals in Thurweiler.
    Pierre nickte. »Das gemeinsame Gemütserlebnis, ja, das kittet.« Und er wies auch Hummel nun die beiden Verbundenen drüben.
    Hummel ließ seine Augen langsam über alle Anwesenden hingehen. Dann blickte er wieder hinaus, dem letzten verwehenden Klang der Studentenschritts

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