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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Korb und einen großen »Kugelhopf«! Der Mund läuft ihm voll Wasser. Heute abend will er doch sicher versuchen, hinüberzuschlüpfen in die Küche des Herrn Maire zum Salmele.
    Hübsch sind die Mädchen hier! Und mit denen versteht man sich schon, wenn man auch die Sprache nicht kennt. Ach, und das Rosele im »Lustigen Bruder«. Das Wählen wird einem schwer.
    Aber das alles soll ja nun vorbei sein? Morgen heißt es: En marche. Wer weiß, wohin. Freilich sagten sie heute früh beim l'eveil -Blasen, es gebe noch keine Ablösung für die vingtoinq-er. Das treizième, das an ihrer Stelle einrücken soll, ist unterwegs festgehalten worden. Streik gibt es in Mülhausen, und da sollen die braven »Michele«, die Soldaten, wieder einmal Ordnung schaffen in der Cité, dem Arbeiterviertel. Ja, ja, wir Soldaten!
    Unternehmend stieß er sein Käppi nach hinten, daß ihm der dunkle, tief in die Stirn hineingewachsene Haarzipfel in Herzform über den Augen lag. So blinzelte er vergnügt auf das Wirtshäuschen hinunter, das, rosenrot gestrichen, mit kleinen Fenstern und Zipfelmützendach sich wie das Gesicht eines selig Berauschten an das Geländer der Illbrücke anpreßte und zu der ernsten Zuchthausmauer hinaufzuschmunzeln schien. DieNase dieses rosenroten Gesichts bildete ein verregneter kleiner Heiliger, der in krummer Nische über dem Haustürchen stand, dicht unter dem Schenkenschilde »Zum lustigen Bruder«.
    Wie heiß es war, hier auf der Mauer! Der Sandstein brannte durch die Sohle durch. Wenn doch erst Ablösung käme! Aus der Kirche klang das Sechs-Uhr-Läuten, nicht lange danach ein Gebimmel und Geklingel aus den Fabrikhöfen der Firma Schlotterbach et Fils da hinter den Wiesen. Nun würden bald die »Fabrikmaidele« kommen, jede mit einem Liebsten, und dann würde es ein Flüstern geben und ein Küssen zwischen den Wallhecken. Es machte weh, hier oben so allein herumzuspazieren, wenn es da unten so lieblich zuging.
    Aber sieh da! das Kabriolett der schönen Madame de la Quine. Wenn man sie doch einsteigen sehen könnte! Ihre hübschen grauen Zeugstiefelchen mit den hohen Absätzen und die seidenen Dessous! Unwillkürlich machte er längere Schritte. Aber er sah nur die Hutkokarde des Kutschers, die um die Ecke glitt.
    Jetzt blickte er in den flimmernden Hitzschein, der, vom unsichtbaren Vogesengebirge emporgesandt, in breiten Wellen den Himmel überzog. Bei einer Wendung sah er auch die Vogesen selbst. So blau glühten sie dort, als wären sie durchschimmert von einem großen, glänzenden Lichte, das sich drüben in Frankreich hinter ihnen ausbreitete.
    Wie das Meer sieht es aus, wenn die Sonne dahintersteht! Oder wie die schuppenbesetzten Sardinennetze, die daheim die Fischer aufhängen nach dem Fange.
    Wie er so hinüberschaut, kommen dem kleinen Soldaten vor Sehnsucht die Tränen in die dunkeln Augen. Und leise, ganz leise fängt er an das Lied zu summen, das die Mutter sang, daheim in den Hügeln, wenn sie die Rinder weidete, wählend er im Grase hockte und mit den glänzenden gelben Blumen spielte. »Oh mes boeufs,« sang sie, »mes boeufs. Oh mon bon frère. Oh mes enfants, mes boeufs!« Und dann das feierliche Lied vom »bon Dieu« . Rot hatte die Sonne geleuchtet auf silberne Wälder und blaues Meer. »Oh mes boeufs, mon petit frère!« Hélas! wann würde er seinFrankreich wiedersehen? Das wirkliche Frankreich! Denn dieses Land hier, in dem man das Maul so breit macht, wenn man Französisch spricht, in dem man nicht lacht, wenn man betrunken ist – o nein, dieses Land hier, das war kein Frankreich mehr, das war die Fremde!
     
    Zur gleichen Stunde wanderte auf der Mülhauser Straße zwischen Feldbreiten von gelbglänzendem Korn und langblütigem, rotem Klee ein junger Mann in grauem Reiseanzug dem Städtchen Thurwiller zu, er ging elastisch und froh und strich manchmal erwartungsvoll über seinen ganz jungen blonden Kinnbart. Zwei Fabrikmädchen, die eilig durch die Hitze gingen, drehten die schönfrisierten Köpfe nach ihm: »Grad wie d'r Saint George bei d'r Muttergottes von Thierenbach, »pas vrai?«
    Heinrich Hummel beachtete sie nicht. Sein Blick umfaßte das grüne Tal, aus dem einzeln oder gruppenweise hohe Pappeln emporragten, deren strenge Formen all der Fruchtbarkeit ringsum das Gerüst gaben, und um deren hochmütig zusammengefaßte Glieder die Sonne goldne Doppellinien zog. Blaubesonnt reihten sich die Vogesenberge vor ihm auf. Unwillkürlich wandte sich der junge Deutsche, um liebevoll auf die

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