Grün. Le vert de la Provence
Erster Teil. Baumanns Verhängnis
Montag, 16. August
Valerie
Dort, wo im Frühsommer leuchtendes Violett die Ebene
bedeckt und bis an den bergansteigenden Wald gereicht hatte, lag jetzt eine
graue Steppenlandschaft. Struppiges, von der Sonne verbranntes niedriges Strauchwerk
flimmerte in der Luft des glutheißen Augusttages.
Valerie fiel das Atmen schwer. Scharfes Lavendelaroma,
das von den verdorrten Zweigen ausströmte, klebte Bruchteile von Sekunden tief
in Hals und Nase.
Anfänglich war der Schatten des Baumes, unter dem sie
stand, eine Erleichterung gewesen, nachdem sie planlos durch die unerträgliche
Hitze vom Pool in den Garten und dann um das Haus herumgegangen war. Aber nach
wenigen Sekunden hatte sie wieder zu schwitzen begonnen. Erst einzelne Tropfen,
die unter dem Haar hervorquollen, langsam und unangenehm kitzelnd über die
Stirn und in den Nacken liefen und dann vertrockneten, eine klebrige Spur
hinterlassend; dann beständiger werdende Rinnsale, die aus allen Poren traten,
die Barriere der Brauen überwanden und brennend in die Augen liefen, das
T-Shirt, ihre Unterwäsche, die Shorts an den Körper klebten und sie schließlich
in eine widerwärtige Feuchte hüllten.
Es mochte halb zwei sein, vielleicht auch zwei Uhr. Genau
wusste sie es nicht. Es würde noch Stunden dauern, bis die gnadenlose
Sonnenbestrahlung abnehmen und das Atmen wieder etwas leichter fallen würde.
Sie hatte Durst. Mühsam gelangte sie zu der Erkenntnis,
dass sie entweder hier verdursten oder das Risiko des Hitzschlages auf sich
nehmen und zum Haus gehen musste.
Im Haus angekommen, war die Hitze nicht erträglicher.
Zwar waren die Strahlen ausgeschlossen, aber jede Substanz um sie herum
emittierte stickig schwere Ausdünstungen, die, wie es ihr schien, das Atmen
noch schwerer machten, als es draußen gewesen war.
Sie holte Mineralwasser aus dem Kühlschrank und trank.
Während sie lange und langsam schluckte, fühlte sie, wie die Flüssigkeit die
schmerzende Kruste ihres Gaumens kühlte.
Vor der Fensterfront breitete sich die Terrasse aus. Der
ockerfarbene Natursteinbelag umrahmte, wie ein Spiegel den Ansturm des Lichts
reflektierend, unwirklich das Rechteck des Pools. Auf der Wasseroberfläche
zeichnete sich kein Kräuseln ab, das einen Lufthauch angezeigt hätte. Eine
perfekte türkisfarbene Fläche, aus der, in obszönem Kontrast, das tiefe Magenta
von Edgars Körper herausstach. Sein Haar war wie ein Strahlenkranz um den Kopf
herum auf dem Wasser ausgebreitet. Vom Nacken an, auf dem Rücken und den Armen
hatte das zerstörerische Werk der Sonne bereits alle aus dem Wasser ragenden
Hautpartien gezeichnet.
Das kalte Mineralwasser half ihr, Schluck um Schluck,
ganz langsam wieder zum Denken zurückzufinden. Sie sah noch einmal auf den
magentafarbenen Körper, schüttelte ungläubig den Kopf und griff dann zum
Telefon. „Ich bin Valerie Baumann“, sagte sie, „mein Mann liegt tot im Pool.“
Der Mann am anderen Ende der Leitung fragte, ob es
Fremdeinwirkungen gegeben habe. Fremdeinwirkungen? Was für eine absurde Frage!
Nein, sagte sie, Sonne. Es sei die Sonne gewesen, diese mörderische Hitze. Er
läge im Pool, mit dem Gesicht nach unten. Der Mann sagte, er würde Kollegen
vorbeischicken und einen Arzt, der den Totenschein ausstellen müsse.
Die Polizisten verwendeten den Kescher, mit dem Edgar an
jedem Morgen die Insekten von der Oberfläche abgeschöpft hatte, um ihn an den
Beckenrand zu ziehen und ihn dann zu zweit aus dem Wasser zu heben und auf eine
Gartenliege in den Schatten zu legen. Der Arzt schlich in kaum merklichen
Bewegungen über die Terrasse, die Kleidung am Körper klebend, Bäche von Schweiß
ausstoßend, mit distanziertem Blick den verbrannten Körper betrachtend. Die
extreme Hitze hatte an diesem Tag bereits mehrere Opfer gefordert und er selbst
schien kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Er fragte kurz nach
Vorerkrankungen, Auffälligkeiten, besonderen Umständen des Tages und notierte
Valeries Antworten, ohne sie ein einziges Mal anzusehen und ohne das geringste
Interesse an dem Sterbefall.
Der jüngere Polizist fragte nach der Toilette. „Den Gang
hinunter, zweite Tür links“, sagte sie. Als er sich im Bad die Hände wusch,
schaute er in die Schränke neben dem Waschbecken: Körperpflegemittel,
Kosmetikartikel, Medikamente und Potenzpillen. Eine Großpackung. Er sah hinein,
mehr als die Hälfte der Pillen fehlte. Nun war der Mann, der diese Pillen
geschluckt hatte,
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