Die verborgene Wirklichkeit
fest auf dem Fußboden verankert, weil Ihr Körper eine Einbuchtung des Raumes (eigentlich: der Raumzeit) hinuntergleiten will, die von der Erde verursacht wird. a Einstein verwendete Jahre
darauf, einen geeigneten mathematischen Rahmen für seine Ideen zu entwickeln. Das Ergebnis waren die Einsteinschen Feldgleichungen , das Kernstück der Allgemeinen Relativitätstheorie, die exakt beschreiben, wie Raum und Zeit sich durch die Gegenwart einer bestimmten Materiemenge verzerren (genauer gesagt, einer Menge von Materie und Energie, denn nach der berühmten Gleichung E = mc 2 , wobei E die Energie und m die Masse ist, sind diese beiden Größen austauschbar). 3 Ebenso genau zeigt die Theorie dann auch, wie eine solche Verzerrung der Raumzeit sich auf die Bewegungen von allem, was sich darin bewegt – Sterne, Planeten, Kometen, das Licht selbst – auswirkt; auf diese Weise können die Physiker präzise Vorhersagen über die Bewegung im Kosmos treffen.
Belege für die Allgemeine Relativitätstheorie ließen nicht lange auf sich warten. In der Astronomie wusste man schon seit Langem, dass die Umlaufbahn des Merkur um die Sonne geringfügig von den Vorhersagen der Newtonschen Mathematik abweicht. Im Jahr 1915 berechnete Einstein die Bahn des Merkur mit seinen neuen Gleichungen noch einmal, und nun konnte er die Diskrepanz erklären – eine Erkenntnis, die er später gegenüber seinem Kollegen Adrian Fokker als so aufregend beschrieb, dass er angeblich mehrere Stunden lang Herzklopfen hatte. Im Jahr 1919 konnten Arthur Eddington und seine Kollegen durch astronomische Beobachtungen zeigen, dass das Licht weit entfernter Sterne, das auf seinem Weg zur Erde dicht an der Sonne vorbeiläuft, ein wenig abgelenkt wird, und zwar genauso, wie es den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie entspricht. 4 Nach dieser Bestätigung – die New York Times behauptete in einer Schlagzeile: »Lights askew in heavens, men of science more or less agog over results of eclipse oberservations« (»Lichter am Himmel schief, Ergebnisse der Finsternis-Beobachtungen versetzt Männer der Wissenschaft in ziemliche Aufregung«) – gelangte Einstein als neues wissenschaftliches Genie der Welt und rechtmäßiger Erbe Isaac Newtons zu internationalem Ruhm.
Die beeindruckendsten experimentellen Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie standen aber noch bevor. In den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts konnte man mithilfe von Wasserstoff-Maseruhren (ein Maser funktioniert ähnlich wie ein Laser, arbeitet aber im Mikrowellenbereich des Spektrums) experimentell die Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie zur Raumzeitkrümmung in unmittelbarer Nachbarschaft der Erde mit einer Messunsicherheit von weniger als 0,1 Promille bestätigen. Im Jahr 2003 nutzte man die Cassini-Huygens-Raumsonde zu einer genauen Vermessung der Ausbreitung von Radiowellen, die auf ihrem Weg zur Erde nahe an der Sonne vorbeilaufen; die damals gesammelten Daten bestätigen die Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie
mit einer Genauigkeit von 0,02 Promille. Und wie es sich für eine Theorie, die mittlerweile wirklich erwachsen geworden ist, gehört, laufen viele von uns mit der Allgemeinen Relativitätstheorie in der Hand herum. Das Global Positioning System (GPS), zu dem wir beiläufig mit unserem Smartphone Zugang haben, bedient sich der Kommunikation mit Satelliten, deren eingebaute Zeitmessgeräte ganz automatisch die Verzerrung der Raumzeit berücksichtigen, der sie auf ihrer Umlaufbahn um die Erde ausgesetzt sind. Würden die Satelliten dies nicht tun, wären die von ihnen erzeugten Positionsbestimmungen schon nach kurzer Zeit ungenau. Was 1916 noch eine Reihe abstrakter mathematischer Gleichungen war, die Einstein als neue Beschreibung für Raum, Zeit und Gravitation eingeführt hatte, wird heute routinemäßig von Geräten genutzt, die in unsere Hosentasche passen.
Das Universum und die Teekanne
Einstein hauchte der Raumzeit Leben ein. Er stellte die jahrtausendealte, auf Alltagserfahrungen aufgebaute Intuition infrage, dass Raum und Zeit als unveränderlicher Hintergrund zu betrachten seien. Wer hätte sich jemals vorzustellen vermocht, dass die Raumzeit sich winden und biegen kann und damit den unsichtbaren Meisterchoreografen für die Bewegungen im Kosmos darstellt? Diesen revolutionären Tanz malte Einstein sich aus, und später wurde er durch Beobachtungen bestätigt. Dennoch geriet Einstein schon wenig später unter dem Gewicht
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