Die verborgene Wirklichkeit
uralter, aber unbegründeter Vorurteile in Zweifel.
In dem Jahr nach Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie wandte Einstein sie im größten nur vorstellbaren Maßstab an: auf das Universum als Ganzes. Das mag man für eine schwindelerregende Aufgabe halten, aber die Kunst der theoretischen Physik besteht gerade darin, das entsetzlich Komplizierte so zu vereinfachen, dass die wesentlichen physikalischen Aspekte erhalten bleiben, während die theoretische Analyse gleichzeitig handhabbar wird. Es ist die Kunst zu wissen, was man außer Acht lassen kann. Mit dem sogenannten kosmologischen Prinzip formulierte Einstein einen vereinfachenden Rahmen, der zum Ausgangspunkt für die Kunst und Wissenschaft der Kosmologie wurde.
Die Aussage des kosmologischen Prinzips lautet: Auf großen Längenskalen betrachtet ist das Universum gleichförmig. Denken wir einmal an unseren Frühstückstee. Im mikroskopischen Maßstab ist er unregelmäßig und weist viele verschiedene Strukturen auf: hier ein paar H 2 O-Moleküle, da ein wenig leerer Raum, hier einige Polyphenol- und Tanninmoleküle, wieder leerer Raum, und
so weiter. Im makroskopischen, dem bloßen Auge zugänglichen Maßstab jedoch ist der Tee gleichförmig goldbraun. Einstein glaubte, das Universum sei wie eine solche Tasse Tee. Die Unterschiede, die wir beobachten – hier die Erde, da leerer Raum, dann der Mond, wieder leerer Raum, gefolgt von Venus, Merkur und weiterem leerem Raum, dann die Sonne –, sind Unregelmäßigkeiten auf vergleichsweise kleinen Größenskalen. Im kosmologischen Maßstab, so vermutete er, kann man solche Abweichungen außer Acht lassen, weil sie sich wie im Tee gegenseitig ausmitteln, so dass sich ein Universum ergibt, das im Durchschnitt überall die gleichen Eigenschaften hat.
Die Belege für das kosmologische Prinzip waren zu Einsteins Zeit im besten Falle dürftig (selbst die Frage, ob es andere Galaxien gibt, war noch umstritten), aber er ließ sich von der festen Überzeugung leiten, dass kein Ort im Kosmos etwas Besonderes sei. Im Durchschnitt, so glaubte er, sollte jede Region des Universums mit jeder anderen gleichberechtigt sein, und deshalb sollten sie im Wesentlichen die gleichen physikalischen Eigenschaften besitzen. In den Jahren, die seither verstrichen sind, hat man mit astronomischen Beobachtungen stichhaltige Belege für das kosmologische Prinzip gewonnen – zumindest wenn man Raumregionen mit einem Durchmesser von mindestens 100 Millionen Lichtjahren betrachtet (was ungefähr dem Tausendfachen der Länge unserer Milchstraße von einem Ende zum anderen entspricht). Stellen wir uns vor, dass wir im Weltall einen gigantischen Würfel mit einer Kantenlänge von 100 Millionen Lichtjahren abgrenzen und dann (beispielsweise in einer Entfernung von einer Milliarde Lichtjahren) einen zweiten solchen Würfel definieren. Dann bestimmen wir die durchschnittlichen Eigenschaften des Weltalls in jedem der beiden Würfel, etwa die durchschnittliche Zahl von Galaxien, die durchschnittliche Materiemenge und die durchschnittliche Temperatur. Dass auf Größenskalen von mehr als 100 Millionen Lichtjahren das kosmologische Prinzip gilt, heißt, dass diese Durchschnittswerte für unsere beiden imaginären Würfel dieselben sein werden. Oder, kurz gesagt: Hat man ein Stück des Kosmos mit einem Durchmesser von 100 Millionen Lichtjahren gesehen, weiß man auch mehr oder weniger, wie der Rest des Weltalls aussieht.
Eine solche Homogenität ist entscheidend, wenn wir mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie das gesamte Universum untersuchen wollen. Warum? Stellen wir uns einmal einen schönen, glatten Strand vor, und ich bitte Sie, seine Eigenschaften im kleinen Maßstab zu beschreiben – das heißt die Eigenschaften jedes einzelnen Sandkorns. Dann sind Sie aufgeschmissen – die Aufgabe ist zu umfangreich. Bitte ich Sie aber, nur die Gesamtmerkmale des Strandes zu beschreiben (beispielsweise das Durchschnittsgewicht eines Kubikmeters
Sand, die durchschnittliche Lichtreflexion der Oberfläche je Quadratmeter, und so weiter), ist die Aufgabe beträchtlich besser zu lösen. Und lösbar wird sie, weil der Strand überall im Durchschnitt die gleichen Eigenschaften hat. Wir messen das durchschnittliche Gewicht des Sandes, die Temperatur und die Lichtreflexion an einer Stelle, und schon sind wir fertig. Nehmen wir die gleichen Messungen an einer anderen Stelle vor, gelangen wir im Wesentlichen zu den gleichen
Weitere Kostenlose Bücher