Die verborgene Wirklichkeit
Hula-Hoop-Reifen, der eine Seifenblase einschließt, und damit als schützende Barriere dienen. Wie die Berechnungen zeigen, mildert ein solcher »Stringschild« alle potenziell katastrophalen Folgen so erfolgreich ab, dass in den Gleichungen der Stringtheorie keine Fehler des Typs »1 geteilt durch 0« auftreten – und das in einer Situation, in der die Gleichungen der herkömmlichen Allgemeinen Relativitätstheorie kläglich versagen würden.
Wie man in den seither vergangenen Jahren nachweisen konnte, vermag die Stringtheorie auch eine Reihe weiterer, komplizierterer Singularitäten (mit Namen wie Conifold-, Orientifold-, Enhancon-Singularität ) erfolgreich zu bändigen. Für eine wachsende Liste weiterer Situationen, in denen Einstein, Bohr, Heisenberg, Wheeler und Feynman schlicht gesagt hätten: »Wir wissen einfach nicht, was da los ist«, liefert die Stringtheorie ebenfalls eine vollständige, widerspruchsfreie Beschreibung.
Das ist ein großer Fortschritt. Dennoch bleibt auch für die Stringtheorie die Herausforderung bestehen, die Singularitäten im Inneren Schwarzer Löcher und die Urknall-Singularität zu beschreiben, die ungleich problematischer sind als alle anderen, mit denen sich die Stringtheoretiker bisher beschäftigt haben. Auf das Erreichen dieses Ziels haben die Theoretiker viel Mühe verwendet, und sie sind dabei weit vorangekommen. Trotzdem kann man zusammenfassend sagen: Bis wir diese rätselhaftesten und gleichzeitig bedeutsamsten Singularitäten von allen vollständig verstehen, haben wir noch einen langen Weg vor uns.
Ein wichtiger Fortschritt bestand allerdings darin, dass die Stringtheorie Licht auf eine weitere Eigenschaft Schwarzer Löcher werfen konnte. Wie ich in Kapitel 9 ausführlicher erläutern werde, wiesen Jacob Bekenstein und Stephen Hawking in den siebziger Jahren nach, dass Schwarze Löcher eine ganz bestimmte Form der Unordnung beinhalten, die mit dem Fachbegriff Entropie bezeichnet wird. Ganz ähnlich wie die Unordnung in einer Schublade voller Socken die vielen möglichen, willkürlichen Anordnungen des Schubladeninhalts widerspiegelt, so spiegelt die Unordnung in einem Schwarzen Loch den grundlegenden physikalischen Gesetzen zufolge viele mögliche, zufällige Anordnungen des Innenlebens des Schwarzen Lochs wider. Aber so sehr die Physiker sich auch darum bemühten, sie verstanden die Schwarzen Löcher nicht gut genug, um dieses Innenleben mathematisch zu fassen, von einer Analyse seiner möglichen Anordnungen ganz zu schweigen. Der Durchbruch gelang erst den
Stringtheoretikern Andrew Strominger und Cumrun Vafa: Mithilfe einer Mischung grundlegender Zutaten der Stringtheorie (von denen uns einige in Kapitel 5 begegnen werden) schufen die beiden ein mathematisches Modell für die Unordnung in einem Schwarzen Loch; dieses Modell war einfach genug, dass sie die Entropie damit auch quantitativ berechnen konnten. Das dabei gefundene Ergebnis stimmte haargenau mit der Antwort von Bekenstein und Hawking überein. Die Arbeiten ließen zwar viele schwierige Fragen offen (beispielsweise die, worum es sich bei den mikroskopisch kleinen Bestandteilen eines Schwarzen Lochs denn nun eigentlich handelt), lieferten aber erstmals eine quantenmechanische Erklärung für die Unordnung eines Schwarzen Lochs. 16
Die bemerkenswerten Fortschritte im Umgang mit Singularitäten und der Entropie Schwarzer Löcher nähren unter Physikern die begründete Hoffnung, dass sich im Laufe der Zeit auch die noch verbliebenen offenen Fragen nach Schwarzen Löchern und dem Urknall werden beantworten lassen.
Stringtheorie und Mathematik
Wenn man feststellen will, ob die Stringtheorie eine zutreffende Beschreibung der Natur liefert, gibt es nur einen Weg: Man muss Verbindungen zu Daten herstellen, die durch Experimente oder Beobachtungen gewonnen wurden. Dieses Ziel jedoch hat sich als schwer fassbar erwiesen. Bei all ihren Fortschritten ist die Stringtheorie nach wie vor ausschließlich ein mathematisches Projekt. Sie bedient sich jedoch nicht nur der Mathematik, sondern hat umgekehrt auch eine Reihe wichtiger Beiträge zur mathematischen Forschung geleistet.
Als Einstein Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelte, unternahm er in den mathematischen Archiven seine berühmten Streifzüge auf der Suche nach einer Sprache, mit der sich die gekrümmte Raumzeit streng wissenschaftlich beschreiben lässt. Eine wichtige Grundlage für seinen Erfolg bildeten die
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