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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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starrten ihn an, dann stoben sie auseinander, plumpsten in die Milchschüssel, flitzten über den Boden und brachten sich hinter den Spiegeln in Sicherheit. Der Eichenast war nicht besonders sorgfältig aufgehängt worden. Jemand hatte die dünne Kette ein paarmal um die Rinde geschlungen und dann mit etwas befestigt, was Wanja sicher als »Hausfrauenverzweiflungsknoten« bezeichnet hätte. Tobbs langte nach der Kette und zog den Ast zu sich heran. Mit einigen Handgriffen löste er ihn ab und lehnte sich mit vollem Gewicht darauf. Es funktionierte! Probehalber hopste er ein paar Schritte durch den Raum. Tatsächlich: Er beschrieb einen sanften Bogen in der Luft und schwebte federweich und langsam wieder dem Boden entgegen.
    »Was zum Wüstenteufel treibst du da?«, flüsterte ihm Mamsie Matata zu.
    Tobbs legte den Finger an die Lippen, dann schwebhüpfte er wieder zu der Stelle, an der die Kette war, und zurrte den Ast fest. Allerdings in Bodennähe, sodass er sich bequem danebensetzen konnte. Sorgfältig suchte er alles zusammen, was er hatte: sein Messer, Anguanas Faden und die Nadel, die ebenfalls in einem versteckten Fach im Messergriff darauf wartete, benutzt zu werden.
    Tobbs war stolz auf sein Messer. Es war ein geradezu magisches Messer aus Wanjas Holz- und Schmiedewerkstatt. Niemand würde vermuten, dass es sich überhaupt um ein Messer handelte. Es sah einfach aus wie ein knotiges Stück Holz, aber mit einem bestimmten Handgriff ließ sich die schärfste und beste Klinge hervorziehen, die jemals in Wanjas Schmiede gefertigt worden war. Selbst das härteste Holz schnitt sich damit wie weiche Erle.
    Mamsie legte die Hände an die Innenseite des Spiegelglases und drückte sich die Nase daran platt. Tobbs zwinkerte ihr zu und begann zu schnitzen.
    Es war eine Höllenarbeit. Tobbs schwitzte und fluchte. Nach einer Weile bekam er solchen Hunger, dass er von Kalis Schrein einige Opferkuchen stahl.
    Mamsie Matata unterstützte ihn nach Kräften, indem sie Lieder in einer fremden, holprigen Sprache sang und sie ihm dann übersetzte. Diese Lieder handelten von weiten Wüstenlandschaften und rot bemalten Kriegern, die Ziegenfleisch opferten. Inzwischen hatte Tobbs schon eine lebhafte Vorstellung davon, warum Matata sich aufgemacht hatte, um andere Länder zu sehen: Ausnahmslos alle Gesänge handelten von Kriegern. Kein Liebeslied, kein Scherz- oder Trinklied, immer nur ernste, Ziegen opfernde Krieger und Wüste. Tobbs hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, aber es mussten sicherlich schon zehn Lieder über hundert Krieger gewesen sein, die entweder ehrenvoll siegten oder ehrenvoll starben. Die Ziegen starben in jedem Fall.
    Stück für Stück hatte Tobbs den Eichenast ausgehöhlt und jeden Splitter sorgfältig zwischen Fußsohle und Boden gesteckt, während er den Faden einfädelte. Anguanas Faden war leicht und dünn und doch stark wie ein Seil. Es kostete mehr Mühe, ihn mit dem Messer zu durchtrennen, als die Holzstücke vom Ast zu sägen. Plättchen für Plättchen nähte Tobbs sie an das Innenfutter der Jackenärmel. Dann kam sein Hosenbund an die Reihe. Wohlweislich befestigte er keine Holzstücke an den Hosenbeinen. Es würde einigermaßen seltsam aussehen, wenn die Priester ihn in Hosen sahen, die von selbst an seinen Beinen nach oben schwebten.
    Endlich machte er auch noch das letzte Stückchen Holz unter seinem Gürtel fest. Geschafft! Neben ihm lag seine Jacke – beschwert mit Marmorschalen von Kalis Opferschrein. Tobbs legte die Schalen beiseite und die Jacke erhob sich sofort wie ein Gespenst in die Luft. Rasch schlüpfte er in die Ärmel und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Auftrieb.
    Es war, als würden ihn unsichtbare Arme nach oben ziehen. Sein Körper war so leicht, dass er sich mit den Zehenspitzen abstoßen konnte und mit einem schwebenden Sprung in Richtung Decke segelte.
    Mamsie Matata pfiff anerkennend durch die Zähne. Tobbs hätte am liebsten gejubelt. Es funktionierte! Nun musste er nur noch die Rinde befestigen und sich seine Hose noch einmal vornehmen. Vom Schweb-Eichenast war inzwischen nicht mehr als die Borkenhülle übrig, und das entsprach genau Tobbs’ Plan. Wenigstens für kurze Zeit sollte der Eindruck entstehen, als befände sich der Ast noch an Ort und Stelle. Und da die Borkenhülle selbst nicht schwebte, musste er sie aufhängen.
    Federleicht setzte Tobbs auf dem Boden auf, schnappte sich die Rinde des Astes und stieß sich wieder ab. An einem der Lämpchen,

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