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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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völlig überrumpelt aus.
    »Natani!«, rief er und stand auf, ganz langsam und vorsichtig, als würde er sich in Gegenwart von gereizten Raubtieren bewegen. Beschwichtigend hob er die Hände. Seine Stimme zitterte ein wenig, als er Tobbs zuraunte: »Sie haben Zweifel. Komm einfach nach vorne und halte dein Tatau so, dass sie es gut sehen können. Hab keine Angst.«
    Nein, dachte Tobbs, kein Problem, wer sollte denn Angst haben, wenn Haigötter an ihm zweifeln?
    Die Musiker reagierten sofort und stimmten einen beschwichtigenden Gesang an. Tobbs machte einen vorsichtigen Schritt auf die Götter zu. Sein Arm kribbelte und pochte. Maui begann zu sprechen.
    Der jüngste Haigott trat vor. Aus der Nähe sah Tobbs, dass er Augen hatte wie ein Hai. Die Pupille war nicht rund, sondern lief an zwei Enden spitz zu.
    »Verbeuge dich«, flüsterte Maui ihm zu.
    Tobbs gehorchte mechanisch, doch weit kam er nicht. Eine kalte Hand schnappte sich sein Handgelenk und sein Arm wurde grob hochgerissen. Mit starrem Blick betrachtete der Haigott erst Tobbs’ Tatau und dann sein kreidebleiches Gesicht. Dabei schnupperte er, als würde er eine Witterung aufnehmen. Was er da roch, schien ihn nicht gerade versöhnlicher zu stimmen. Verächtlich ließ er den Arm los und zischte den anderen Göttern etwas zu. Mit zwei großen Sprüngen war er am Rand der Lagune – und sprang! Schon hatte das türkisfarbene Wasser im Inneren des Atollrings ihn verschluckt.
    Maui runzelte besorgt die Stirn. »Das kann passieren, mach dir nichts daraus«, murmelte er Tobbs zu. »Aber geh besser zur Riffkante zurück und warte im Boot, bis ich dich hole.«
    Tobbs ging zitternd an den schweigenden Göttern vorbei und watete durch das Wasser, bis er zu den Korallenriffen kam, wo das Boot auf und ab schaukelte. Die schneeweißen Haie befanden sich ganz in der Nähe, Tobbs konnte ihre Dreiecksflossen im Wasser aufblitzen sehen. Aber immer noch besser, hier im Boot zu sitzen, als diesem Haigott ausgeliefert zu sein. Vorsichtig kletterte er auf die Korallen und nahm auf der Sitzbank des Bootes Platz.
    Aus der Entfernung verfolgte er Mauis weiteres Gespräch. Offenbar verlief es jetzt deutlich entspannter. Eine bauchige Schale wurde herumgereicht, Räucherwerk verbrannt.
    Bei jedem Wellenschlag schabte der schmale Bootsrumpf mit einem hässlichen Knirschen über die Korallen.
    »Lelkanamo?«, sagte eine heisere Stimme rechts von Tobbs. Er erstarrte. Jetzt bloß nicht herumfahren und das Gleichgewicht verlieren!
    Vorsichtig blickte er sich um. Und wäre am liebsten schreiend vom Boot gesprungen. Direkt neben seinem Ellenbogen befand sich ein Gesicht, halb Raubtier, halb Mensch. Blaue Haut, eine Stirnfinne und ein Haifischmaul. Nur die Nase, die Schultern und die Arme, die aus dem Wasser ragten, waren menschlich, sodass Tobbs die Wasserwirbeltataus gut erkennen konnte. Das war eindeutig der Haigott, der ihn nicht leiden konnte. Aber eben war er doch noch in der Lagune gewesen! War er unter der Insel hindurchgetaucht, um ins Meer zu gelangen? Gab es zwischen der Lagune und dem Atollbecken womöglich Durchgänge?
    Mit der Ruhe des Überlegenen stützte der Haimensch sich mit den Armen auf dem Bootsrand auf und starrte ihn feindselig an. »Lelkanamo?«, wiederholte er ungeduldig.
    »B… bitte?«, stotterte Tobbs. »Ich … äh … ich verstehe dich nicht.«
    Tobbs hatte noch nie gesehen, wie ein Haifischmaul sich zu einem spöttischen Lachen verzog, und er legte auch keinen Wert darauf, es noch einmal zu sehen.
    »Leltema!«, blaffte der Haigott ihn an. Tobbs’ Kehle war mit einem Mal trocken geworden. Hilfe suchend sah er sich nach Maui um, aber der schien ihn vergessen zu haben.
    Die Augen des Tiermenschen blitzten gefährlich. Mit einer trägen Bewegung seines Haileibs peitschte er einmal über das Wasser. Sofort drängten sich die weißen Haie um ihn wie verspielte Hunde. Der Haigott streichelte die Köpfe, griff in die Mäuler, die nach seiner menschlichen Hand schnappten, und – musterte Tobbs. Plötzlich peitschte sein Haischwanz das Wasser und riss das Boot herum. Ehe Tobbs sichs versah, drückte die Fliehkraft ihn gegen die Bootswand. Der Himmel über ihm und drehte sich. Und vor ihm gähnte das grinsende Maul.
    In diesem Augenblick geschah etwas Unerhörtes: Tobbs verlor sich selbst. Für die Dauer einer flammenden Sekunde war er weniger Tobbs als je zuvor, er war ein Wesen, das einen drohenden Knurrlaut ausstieß. Seine Lippen zogen sich zurück, als würde

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