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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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gewonnen, denn Fremde anzugreifen, widerspricht dem Gastrecht der Haigötter. Sie sind uns jetzt sozusagen etwas schuldig und werden vielleicht etwas freundlicher sein.«
    Tobbs staunte. Auf diese Idee wäre er nie gekommen.
    »Außerdem«, raunte Maui ihm zu, »sind deine Wunden nun durch das Atollwasser geschlossen.« Das stimmte. Das Wasser musste tatsächlich eine heilende Wirkung haben, denn die Zeichnung war nicht mehr rot, sondern sah aus, als hätte sie einige Tage Zeit gehabt zu heilen.
    Die weißen Haie drängten sich immer noch an das Boot. Und da sich Tobbs nun etwas entspannter fühlte, konnte er sogar zugeben, dass es trotz allem schöne Tiere waren. Oder waren es womöglich gar keine Tiere?
    »Sind das die Haigötter?«, fragte er leise.
    »Die Haigötter?« Maui runzelte die Stirn. In diesem Augenblick knirschte das Boot über Korallen und kam zum Stehen. »Nein, nein, die Haie hier sind keine Götter.« Er schirmte die Augen mit der Hand ab und deutete auf eine Gruppe von Bäumen, die den schmalen Strand abgrenzte. »Die Götter sind dort drüben.«
    Tobbs rappelte sich auf und spähte. Das war also das Atoll! Eigentlich nicht viel mehr als eine ringförmige Insel aus Sand, ein paar Bäumen und Korallengestein. Im Zentrum befand sich eine Lagune, die am Rand das hellste Türkis zeigte, das Tobbs je gesehen hatte, und zur Mitte hin zu einem dunkelblauen Auge wurde. In diesem Wasserrund waren keine Haie zu erkennen. Dafür erschienen zwischen den Bäumen fünf Männer. Sie sahen nicht viel anders aus als Maui, Insulaner mit hohen Wangenknochen und markanten Nasen. Ihre Tataus zeigten verschlungene Ornamente, sogar ihre Wangen, Nasen und Stirnen schmückten mit wasserblauer Farbe gestochene Zeichnungen.
    »Das sind die Götter«, flüsterte Maui ihm zu. »Bleibe an Land immer drei Schritte hinter mir und sag am besten gar nichts. Ich werde mich jetzt vorsichtig darüber beschweren, dass wir angegriffen wurden. Versuche einfach möglichst erschrocken und gleichzeitig ehrfürchtig auszusehen.« Mit diesen Worten ging der Diplomat von Bord, hangelte sich über einige Korallenbänke, watete durch flaches Wasser und betrat schließlich sandigen Boden. Vier der Musiker folgten ihm mit Beuteln voller Proviant und Geschenke. Toras winkte Tobbs ungeduldig zu. Ihm blieb nichts anderes übrig: Er musste in das hüfthohe Wasser steigen. Das Boot war an einer Koralle festgemacht, die wie eine Tänzerin die Arme nach oben streckte. Tobbs stützte sich vorsichtig daran ab und glitt in das warme Nass. Halb hüpfend, halb watend folgte er den Musikern. Die Insel schien unter seinen Füßen zu schwanken wie ein Boot.
    Der Gesang, den Mauis Leute anstimmten, war ein Lied, das bestimmt so alt war wie das Meer selbst. Die Götter standen nur stumm da und musterten ausgiebig jeden Sänger, Tatau für Tatau.
    Tobbs’ Herz begann schneller zu schlagen, als der jüngste der Götter ihn ins Visier nahm und sein brandneues Zeichen mit zusammengekniffenen Augen las. Tobbs prägte sich seinerseits das Bild auf den Armen des Gottes ein. Die Zeichen auf seiner Haut unterschieden sich auffällig von denen der anderen Götter. Sie erinnerten Tobbs an Wasserwirbel.
    »Kavatahina«, sagte der größte Gott zu Maui. Der Vermittler nickte und ging auf ihn zu. Beide setzten sich in den Sand. Es begann eine lange Begrüßungszeremonie mit viel Singsang und unverständlichen Zischlauten, der sich die übrigen Götter und Sänger nach und nach anschlossen. Geschenke wurden ausgepackt. Keine Schätze, Perlen oder Muscheln, sondern getrocknete Muränen, Knochen, mumifizierte Fischköpfe und Dolchzähne. Nur der jüngste Gott interessierte sich nicht für das Ritual, sondern starrte immer noch Tobbs an. Um sich abzulenken, blickte Tobbs in das perfekte Rund der Lagune. Irgendwo da unten, am Grund dieses Kraters, lag der Schatz! Und irgendwie würde es ihnen gelingen, ihn zu heben.
    »Manuti!«, bellte eine heisere Stimme. Tobbs schrak auf und wandte den Blick wieder zur Gruppe. Vor Schreck setzte sein Herz einen Schlag aus. Alle Haigötter starrten ihn an. Und erst jetzt, im grellen Sonnenlicht, fiel ihm auf, dass die Gestalten aus zwei Wesen zu bestehen schienen. Ihre zweite Gestalt schimmerte durch das menschliche Äußere. Tobbs sah Lippen und gleichzeitig gefährliche Reihen von Haifischzähnen. Menschenhaut und graue Fischhaut. Glatte Stirnen und Knochenfinnen. Doch viel beunruhigender als diese optische Täuschung war Mauis Miene. Er sah

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