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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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zuckte zurück – wenn die Priesterin ihn berührte, würde sie den glatten Spiegel unter seiner Jacke spüren. Er wich aus und stolperte mehr schlecht als recht auf die Plattform. Zitternd klammerte er sich an das Geländer und sackte auf die Knie. Die Priester gaben ein Zeichen und die Plattform wurde nach oben gezogen.
    Die höheren Stockwerke waren belebter. Frauen und Männer drängten zum Rand des Schachts, flüsterten und deuteten auf Tobbs. Er bemühte sich, ein Lächeln und ein grüßendes Nicken zustande zu bringen, was bei seinen Zuschauern wahre Begeisterungsstürme auslöste. Lachend applaudierten sie ihm.
    Noch schlimmer als das Einsteigen war es, von der Plattform wieder herunterzukommen. Tobbs’ Knie schlotterten, als er über den Spalt zwischen Aufzug und Fußboden schritt. Er war nass geschwitzt, das Holz der Spiegelrückseite klebte an seinem Rücken. Nur die Tatsache, dass er einen Schwebanzug trug, beruhigte seine flatternden Nerven ein wenig. Der Priester nickte ihm zum Abschied zu. »Bis morgen, Junge. Der Prunkwagen wird bereitstehen.«
    »Sind wir da?«, fragte Tobbs leise.
    »Noch lange nicht, Mäusefresser«, zischte ihm die Priesterin zu. »Du wirst jetzt erst einmal hübsch gemacht.«
    Wenig später fand sich Tobbs in einem bunten Raum voller leuchtender Stoffe wieder. Gegenüber dem Fenster, das von pinkfarben und gelb gemusterten Gardinen gesäumt war, hing ein riesiger Panoramaspiegel an der Wand. Vereinzelte Wolken wanderten über einen strahlend blauen Himmel. Und im Hintergrund erhoben sich verschneite Berge.
    Irgendwo dort ist die Taverne, dachte Tobbs entmutigt. Und im Moment erschien sie ihm weiter entfernt als der Mond. Selbst wenn er es mit Anguanas Glück schaffen sollte, der Stadt der Spiegel zu entfliehen – wenn er Sid und den Mancor nicht mehr fand, würde er Jahre brauchen, um zur Taverne zu gelangen. Die Vorstellung, als grauhaariger alter Mann in den Gastraum zu humpeln und dort festzustellen, dass Wanja und Dopoulos nur ein Jahr älter geworden waren, erfüllte ihn mit Schrecken. Zum ersten Mal verstand er, was Dopoulos gemeint hatte, als er sagte, man könne sein ganzes Leben verlieren, wenn man durch die falsche Tür ging.
    »Rosa hatten wir gesagt«, holte ihn die strenge Stimme der Frau in die Gegenwart zurück. Sie griff in einen Ständer, an dem lange Mäntel hingen, und zog ein leuchtend rosafarbenes Gewand heraus.
    »Komm her«, forderte sie ihn auf. »Zieh deine Sachen aus und stell dich vor den Spiegel. Na wird’s bald?«
    Tobbs glaubte zu spüren, wie Mamsie Matata zusammenzuckte. Es kostete ihn alle Beherrschung, äußerlich ruhig zu bleiben.
    »Würde ich ja gerne«, sagte er. »Aber du … bist eine Frau. In meinem Dorf ziehen sich die Männer nie vor einer fremden Frau aus.«
    Die Priesterin lachte trocken. »Ach, so schüchtern und verschämt in Kleiderfragen, aber unschuldige Mäuse jagen, was?« Sie funkelte ihn wütend an und Tobbs erkannte jetzt erst, was die verschlungene Zeichnung auf ihrer Stirn bedeutete. Wenn Kali die Gottversion eines Menschen darstellte, dann zeigte dieses Bild wohl die Gottesvorstellung der Mäuse. Zumindest war Tobbs sicher, dass Mäuse sich gerne so gesehen hätten: Dieses Exemplar hier hatte insgesamt acht Pfoten und in jeder davon balancierte es einen Katzenschädel. Ihren schlanken Hals schmückte eine erwürgte Schlange.
    »Komm schon, Mäusemörder!«, knurrte die Frau. Tobbs wollte gerade etwas erwidern, als die Priesterin plötzlich erschauerte. Ihre Nase begann nervös zu zucken und ihre Augen wurden so groß und rund, dass sie selbst einer überdimensionalen Maus glich. Sie starrte an Tobbs vorbei an die Wand. Tobbs wirbelte herum.
    Eine Frau mit Flügeln schoss genau auf ihn zu! Ihr Mund war aufgerissen, spitze Zähne blitzten im Sonnenlicht. Sie hatte Haar, das durch die Luft wallte wie ein Bündel blauer Schlangen. Und: Sie sprang Tobbs genau an!
    Seine erste Reaktion war ein Schrei. Instinktiv wollte er sich ducken, aber der Anzug bremste ihn. So taumelte er nur zur Seite. Der Angriff geschah so lautlos wie in einem Traum. Und plötzlich zerstob das Bild. Es zerplatzte in Splitter, Fetzen zeigten Häuserwände, den Himmel, einen Wächter, dann verschwanden auch sie. Tobbs musste die Augen schließen. Wenn sein Schwebanzug ihn nicht aufrecht gehalten hätte, wäre er in sich zusammengesackt.
    »Verdammt«, zischte die Priesterin. »Das ist schon der dritte Angriff heute! Seit gestern sind sie wie

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