Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Pater Nau in vielen Dingen, die sie taten, keinen Sinn erkennen. Was zum Himmel trieb beispielsweise dieses junge Ding da drüben? Schaute sie tatsächlich der Nachbarin ins Fenster? Und der Mann da an der Ecke. Der hockte am Boden neben einem Balken und versuchte, den Frauen unter die Röcke zu schielen, wenn sie dieselben raffen mussten, um über den Balken zu steigen. Bei der Kälte. Mit bloßen Knien auf dem Boden! Pater Nau verstand die Welt einfach nicht. «Die Erde ist in Frevlerhand», murmelte er und wünschte sich sehnlichst zurück in seine Studierstube.
Stattdessen humpelte er zu den Fleischbänken und besah sich die Auslagen der Schlachter. Er verzog den Mund, als er die blauroten Hammelbeine betrachtete, die saftigen, dunkelroten Schweinelebern und daneben die Rindernieren. In einem Eimer an der Seite lagen gelbe Hühnerfüße, daneben befand sich ein Topf mit grauem Kalbshirn. Dem Pater grauste es. Er aß sehr gern, aber das, was Gustelies auf den Tisch brachte, sah ganz anders aus als die ekligen Batzen, die hier herumlagen. Und vor allem stank es hier, dass einem übel werden konnte.
«Na, Pater, ist Eure Gustelies krank?», fragte ihn einer der Männer, die mit blutverschmierten Händen hinter den Bänken standen.
«Wie? Nein, nein. Ich wollte nur selbst einmal sehen, was sie in den Topf wirft.»
Der Schlachter lachte. «Keine Sorge, Pater. Sie nimmt nur das Beste. Niemandem hier ist es bisher gelungen, sie übers Ohr zu hauen.»
Das glaubte der Pater ihm aufs Wort. Er sah den Schlachter an und fand, dass dieser gutmütig aussah. «Sagt mir, mein Sohn, wie schneidet man einen Skalp?», wollte er dann wissen.
«Einen was?»
«Ihr wisst schon, die Kopfschwarte. Wie schneidet man die?»
Der Schlachter blies die Backen auf. «Das weiß ich nicht, Pater. Das tun wir bei unserem Vieh nicht. Wir schneiden ihm einfach nur die Kehle durch und zerlegen es dann in handliche Stücke, welche die Weiber in ihre Kessel werfen können.»
Der Pater wich zurück. «Also könnt Ihr mir auch nicht sagen, ob Skalpieren tödlich ist?»
Der Schlachter schüttelte den Kopf und sah den Pater dabei misstrauisch an. «Wozu wollt Ihr das wissen?»
Pater Nau hob beide Hände. «Ach, nur so. Ich hörte neulich von einem Reisenden, dass man es in der Neuen Welt so hält. Ihr wisst schon, die Seefahrer.»
Der Schlachter nickte. «Nun, so viel ich weiß, töten sie so die Wilden. Aber hier gibt es keine Wilden. Nur Wildschweine.» Er lachte dröhnend.
«Eben», sagte Pater Nau. «Und deshalb frage ich ja.»
Wieder sah der Schlachter misstrauisch auf den kleinen Mann im schwarzen Umhang.
«Aber es war ja nur eine Frage. Uns Geistlichen kommen oft die seltsamsten Gedanken. Gott sei mit Euch, mein Sohn.»
Pater Nau sah zu, dass er davonkam.
Er begab sich zum Hafen, schlenderte wie ein Müßiggänger mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Ladestraße auf und ab. Ein paar Auflader mussten ihm ausweichen. Einmal wäre er beinahe über ein Fass gestürzt, das über ein Brett von einem Lastkahn gerollt wurde, ein anderes Mal wich er nur knapp einer Peitsche aus, mit der ein Fuhrwerkskutscher seinen lahmen Gaul antrieb. Überall herrschte ohrenbetäubender Lärm. Die Hafenarbeiter brüllten die Auflader an, die Auflader riefen den Schauerleuten Unflätigkeiten zu. Flüche, Lachen, dazu das knarrende Geräusch einer riesigen Winde, das Poltern der Fässer und Säcke. Es stank nach Pech, mit dem die Fassdeckel verklebt wurden, nach Flusswasser und Männerschweiß. Pater Nau hielt sich am Rande des Geschehens, darauf bedacht, nicht in diesen Mahlstrom zu geraten.
Endlich sah er zwei starkbehaarte und bärtige Männer an einer Ecke stehen, die heimlich einen tiefen Schluck aus einem Krug nahmen.
«Gelobt sei Jesus Christus, meine Söhne.»
«In Ewigkeit. Amen.»
«Was führt Euch in unser Land?»
Die bärtigen Männer sahen sich an. «Wie meint Ihr das, Pater?»
Pater Nau lächelte. «Nun, Ihr seid so schwarz im Gesicht. Da erkennt unsereins gleich, dass Ihr aus der Neuen Welt kommen müsst. Seid Ihr gar mit Kolumbus gesegelt? Habt Ihr die roten Menschen gesehen? Sagt mir, wie geht das vor sich mit dem Skalpieren dort?»
Die Männer sahen sich verdutzt an. Dann trat der eine einen Schritt zurück und erklärte: «Pater Nau, wir waren nie in der Neuen Welt. Erkennt Ihr uns nicht? Wir sind es. Der Peter und der Paul. Wir haben einen Lastkahn mit Kohle entladen. Deshalb sind wir so schwarz.»
Der Pater trat näher
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