Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
fertig», sagte er leise, doch Pater Nau schaute nicht einmal auf, sondern murmelte weiter vor sich hin: «Als der Erste so aus dem Leben geschieden war, führten sie den Zweiten auch hin, um ihren Mutwillen mit ihm zu treiben; und sie zogen ihm vom Kopf Haut und Haar ab und fragten ihn, ob er Saufleisch essen wollte oder den ganzen Leib Glied für Glied martern lassen.
Er aber antwortete in seiner Sprache und sagte: Ich will’s nicht tun.
Daher marterten sie ihn weiter wie den Ersten.»
«Bernhard!» Heinz Blettner sprach ein wenig lauter. «Was tust du da? Gustelies hat das Essen fertig. Es gibt einen Schmortopf.»
«Was?» Der Pater schreckte hoch. «Was hast du gesagt?»
«Das Essen ist fertig. Was, zum Himmel, tust du da?»
«Ich?»
«Ja. Du. Oder ist sonst noch jemand hier?»
Der Pater sah sich in seiner Stube um. «Nein, hier ist niemand. Gottlob.»
«Was hast du gemacht?»
Pater Nau spitzte die Lippen und stieß die Luft pfeifend hervor. «Ich bereite meine nächste Predigt vor. Was denn sonst? Schließlich bin ich dafür zuständig.»
«Eine Predigt, in der es darum geht, einem anderen die Kopfhaut samt Haaren abzuziehen?»
Pater Nau nickte eifrig. «Jawohl. Siehst du, mein Sohn, die Bibel besteht aus Gleichnissen. Das Gleichnis mit der Kopfhaut hat also eine Bedeutung. Und diese versuche ich zu ergründen.»
«Aha. Der Schmortopf wartet», entgegnete der Richter und wandte sich ab. «Kommst du?»
Pater Nau erhob sich. «Ja, ja, gleich. Vorher will ich dich noch fragen, was du für eine Bedeutung hinter diesem Gleichnis vermutest.»
Heinz Blettner blickte den Onkel seiner Frau verblüfft an. «Seit wann fragst du mich so etwas? Ist Bruder Göck etwa krank?»
Pater Nau winkte ab. «Ach, weißt du, mein Sohn, mit Bruder Göck kann man hervorragend theologisch disputieren. Von Gleichnissen versteht er nichts. Er lebt in einem Kloster.»
Das leuchtete dem Richter ein. «Was ist mit Samson und Delilah. Waren da nicht auch Haare im Spiel?», fragte er.
«Ha! Das ist gut. Sehr gut sogar. Dem werde ich nachgehen. Gleich nach dem Essen.» Der Pater rieb sich die Hände. «Und jetzt lass uns runtergehen. Oder weißt du zufällig, welche Bibelstelle mit den Worten: ‹Warum bin ich nicht gestorben von Mutterleib an› beginnt?»
«Nein, weiß ich nicht. Für die Bibel bist du zuständig. Aber untersteh dich, Hella nach dieser Stelle zu fragen.»
«Warum?» Pater Nau kratzte sich am Kinn.
«Weil sie schwanger ist und vom Sterben bei der Geburt im Augenblick bestimmt nichts wissen will.»
«Das verstehe ich.» Pater Nau nickte. «Diese Art von Reue trifft die meisten ohnehin erst in späteren Jahren.»
Heinz Blettner betrachtete den Pater mit hochgezogenen Augenbrauen. «Geht es dir gut, mein Lieber?»
«Gut, gut. Was heißt das schon? Die Erde ist ein Jammertal und das Leben ein Graus.»
Der gewohnte Spruch des Paters beruhigte den Richter ein wenig.
In der Küche war der Tisch schon gedeckt. Pater Nau steckte seine Nase in den Topf, der über dem Herdfeuer köchelte. «Was gibt es heute?», fragte er.
«Schmortopf», erwiderte Gustelies.
«Und was ist da Schönes drin?»
«Seit wann interessierst du dich denn für Kochrezepte?», wollte Gustelies vom Pater wissen.
Pater Nau verzog den Mund. «Ich interessiere mich für alles, was auf der Welt passiert», teilte er mit beleidigtem Unterton mit.
«Also gut. Rindfleisch ist darin, Rübchen, ein paar Karotten, natürlich Zwiebeln, Lorbeerblätter, und für die Brühe habe ich ein gutes Stück Schwarte ausgekocht.»
Der Pater ließ den Löffel in den Kessel fallen. «Was?», fragte er. «Was hast du gesagt?»
«Schwarte. Das macht man so. Wegen des Geschmacks. Aber keine Angst. Sie war ganz frisch. Ich habe heute Morgen selbst gesehen, wie der Schlachter sie geschnitten hat.»
Pater Nau riss entsetzt die Augen auf.
«Was ist denn los mit dir? Du bist ja ganz bleich.»
Pater Nau würgte. «Ich glaube … mir ist schlecht. Ich … ich werde heute nichts essen.»
Dann würgte er, schlug sich die Hand vor den Mund und rannte hinaus.
Gustelies sah ihm kopfschüttelnd nach.
«Was ist denn mit Onkel Bernhard los?», wollte Hella wissen. «Er führt sich ja auf, als wäre er ebenfalls schwanger.»
«Keine Sorge», erwiderte Gustelies gelassen. «Er hat zu tief in die Messweinkanne geschaut. Als ich vorhin in die Sakristei kam, lag sie umgekippt am Boden. Ich glaube, wir sollten zum Abendessen nicht mehr den guten Tropfen aus Dellenhofen
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