Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
geschieht nichts. Er wohnt in Seckbach und untersteht somit nicht der Frankfurter Gerichtsbarkeit.»
«Und der Apotheker?», fragte Pater Nau. «Immerhin ist bewiesen, dass der Stumme die Leichen manchmal im ganzen Stück zu ihm gebracht hat. Nachts, wenn keiner was hörte und sah. Und die erste Leiche, die am Fluss lag, haben die beiden sogar gemeinsam ausgeweidet. Muss der jetzt ins Verlies?»
Blettner schüttelte den Kopf. «Im Grunde hat er nichts getan, was gegen die Gesetze verstößt. Ein jeder Heiler handelt mit menschlichen Dingen. Wir werden ihm eine saftige Geldstrafe aufbrummen, aber das war es dann schon. Wenn er mag, kann er den Rest seines Lebens Blutlattwerch verkaufen.»
«Ruhe!», schrie da Gustelies. «In meiner Gegenwart spricht niemand mehr über das, was andere Leute mit Leichen anstellen.» Und an Jutta gewandt fügte sie hinzu: «Und die Jungbrunnensalbe nehme ich auch nicht mehr. Ich werde in Würde altern.» Dann prüfte sie noch einmal mit der Hand die Temperatur im Zuber.
«Und der Stumme? Was geschieht mit dem?», wollte Bruder Göck noch wissen.
«Er wird in eine Tonne gesteckt und im Main versenkt», erklärte Heinz. «So wie alle Selbstmörder.» Er sah auf das Stundenglas. «Diese Nacht noch wirft der Henker das Fass über die Brücke, um kein Aufsehen zu erregen. Nur der Schultheiß wird dabei sein.»
Von oben drang ein Schrei herunter. Heinz Blettner sprang auf. «Was ist los da?», fragte er.
Auch Jutta erhob sich. «Es wird wohl an der Zeit sein, die Zuber nach oben zu bringen.»
Da wurde eine Tür aufgerissen, und Minerva brüllte so laut durch das Haus, dass das Söhnchen vor Schreck erwachte und zu schreien begann.
«Es ist ein Mädchen», rief Minerva. «Ein wunderschönes Mädchen.»
Und sogleich wurde auch von oben Säuglingsgebrüll laut.
Pater Nau stopfte sich auf der Stelle die Finger in die Ohren. «Ich sage es doch: Die Erde ist ein Jammertal», brüllte er, so laut er konnte. «Das wissen schon die Kleinsten.»
Und Bruder Göck verzog das Gesicht wie im tiefsten Schmerz, stand auf und erklärte: «Es ist die Welt, die so laut ist. Das halte ich nicht aus. Gott ist leise, und deshalb bin ich wohl auch Mönch geworden.»
Nur Gustelies und Jutta hielten sich umarmt, und beide weinten vor Freude. Und von oben schrie Hella nach ihrem Mann: «Heinz, komm sofort herauf. Alles wegen dir. Die ganzen Schmerzen, nur wegen dir!»
Und Heinz stand da, als wäre er vom Donner gerührt, und flüsterte: «Jetzt sind wir zu viert. Meine Güte, jetzt habe ich drei Kinder zu versorgen. Lieber Gott, ich danke dir dafür.»
Über Ines Thorn
Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie.
Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
Weitere Veröffentlichungen:
Die Pelzhändlerin
Die Silberschmiedin
Die Wunderheilerin
Unter dem Teebaum
Die Kaufmannstochter
Die Tochter des Buchdruckers
Die Verbrechen von Frankfurt:
Galgentochter
Höllenknecht
Über dieses Buch
Die Heilkraft des Todes
Unheilvolle Dinge ereignen sich im Frankfurt des frühen Jahres 1533: Dreimal findet Pater Nau nach der Beichte blutiges Frauenhaar
im Beichtstuhl. Dann wird am Mainufer die Leiche einer schwangeren Frau gefunden – ausgeweidet, vom Ungeborenen fehlt jede
Spur. Und weitere Schwangere werden vermisst. Pater Nau gerät unter Verdacht. Nur die Richterswitwe Gustelies und ihre Tochter
Hella glauben an seine Unschuld und beschließen, selbst zu ermitteln. Doch Hella begibt sich damit in höchste Gefahr, denn
auch sie erwartet ein Kind …
Impressum
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2011
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther
(Fotos: akg-images)
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ISBN Buchausgabe 978-3-499-25371-3 (1. Auflage 2011)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-43861-3
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