Hundsmiserabel
Hundsmiserabel
E s gibt entsetzliche Arten, ums Leben zu kommen. Ja, die gibt es. Wenn man beispielsweise von einem Grizzly in Stücke gerissen oder von einem Gorilla so lange an einen Baum geschleudert wird, bis man tot ist. Ich beneide auch niemanden, der mit der
Titanic
ertrunken ist oder 1962 während der Hamburger Sturmflut.
Es gibt auch kuriose Arten, ums Leben zu kommen. Die Hausmeisterin der Tante meiner Brieffreundin aus Lippstadt ist von einem Nachbarsjungen ermordet worden. Er wollte sie ärgern, weil sie ihm gedroht hatte, seine Eltern zu zwingen, ihm lebenslang Hausarrest zu erteilen, weil er ihr regelmäßig Eier aus dem zweiten Stock auf den Kopf fallen ließ. Darum hat er 1991 ein Ei durchs offene Fenster in ihre Küche geworfen, es traf sie am Kopf … und eine Gehirnblutung setzte ein. Da war nichts mehr zu machen. Nun mag man sich wundern, dass ein einfaches, rohes Ei eine solche Tragödie hervorrufen konnte. Dummerweise hatte der Knabe aber statt auf seine Standardmunition für diesen besonderen Anlass auf ein sogar relativ wertvolles Marmorei aus der Antiquitätensammlung seiner Eltern zurückgegriffen. Er gab es nach hochnotpeinlichen Befragungen zu. Die Eltern haben dann mit dem Sammeln aufgehört und den Sohn, glaube ich, zur Adoption freigegeben. Was lernen wir daraus? Eier können manchmal ganz schön viel anrichten. Aber dazu später mehr.
Vorher möchte ich noch an die Frau erinnern, die im Wald joggen ging und von einer Kuh erschlagen wurde. Das eigentlich recht ausgeglichene Milchvieh war irgendwie in Panik geraten, über das Gatter der Weide gesprungen, orientierungslos durch die Gegend galoppiert und schließlich von einer Brücke gestürzt. Unter dieser lief just in diesem Moment die todgeweihte Joggerin vorbei. Ob die Kuh überlebt hat, habe ich vergessen.
Nein, so will man auch nicht sterben. Allein die Vorstellung, dass jemand auf der Beerdigung diese Sache anspricht. Nicht auszudenken.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich auch schon einmal sterben wollte. Und zwar am 21. Dezember 1979. Wenn ich mir die Todesursache damals hätte aussuchen dürfen, wäre meine Wahl auf einen spontanen Blitzschlag gefallen. Das geht relativ schnell und verursacht keine Sauerei, glaube ich zumindest. Obwohl für das, was ich getan hatte, ein kurioser Fall von höherer Gewalt zu harmlos gewesen wäre … Zurück ins Jahr 1979: Meine kleine Schwester Charlotte durfte eine Weihnachtsgeburtstagsfeier mit all ihren Kindergartenfreunden veranstalten. Und zwar deswegen, weil sie kurz vor Weihnachten Geburtstag hat und dieser Geburtstag daher nie so richtig gefeiert wurde. Bisher war sie noch so klein gewesen, dass sie nicht richtig mitgekriegt hatte, dass sie um ein tolles Fest geprellt wurde. Aber diesmal wurde protestiert und meine Eltern gaben nach. Vier wurde sie damals. Dieser Geburtstag sollte wirklich toll werden. Und ich, die große, liebevolle Schwester, habe natürlich begeistert bei den Vorbereitungen geholfen.
Zwölf Zwerge wurden eingeladen, und wir waren tagelang beschäftigt. Es sollte alles perfekt werden und natürlich sehr weihnachtlich. Nicht so ein lieblos arrangiertes Null-acht-fünfzehn-Fest. Nein, ich wollte nicht kleckern, sondern klotzen. Das Wohnzimmer wurde mit einer Wagenladung vergoldeter Nüsse und einer Milchstraße bunter Strohsterne dekoriert und ich habe eine Früchtebowle angesetzt. Bowlen waren damals schwer angesagt. Natürlich gab es auch einen Käseigel. Und Würstchen mit Kartoffelsalat. Meine kleine Schwester wollte außerdem jede Menge Süßspeisen haben und forderte diese lautstark ein. Gummibärchen und Dominosteine genügten ihr nicht, nein, etwas Besonderes musste her. Ich habe stapelweise Backbücher gewälzt. »Staffel, mach was Schönes«, maulte meine Schwester und schaute mich erwartungsfroh mit ihren großen, grünen Augen an. Aus dieser Zeit rührt wahrscheinlich auch mein Hang zur Perfektion, was Feste und Geburtstagsfeiern betrifft. Wenn ich heute Gäste einlade, fange ich drei Monate vorher mit den Vorbereitungen an … nur um am Abend der eigentlichen Veranstaltung reglos auf dem Sofa unter einer Decke zu liegen und mich zu fühlen wie Melanie in
Vom Winde verweht
, die im amerikanischen Bürgerkrieg nur mit Scarlett O’Haras Hilfe nach neun entbehrungsreichen Monaten endlich ihr Kind auf die Welt bringt, was wiederum weitere gefühlte neun Monate dauert. Ohne Schmerzmittel.
Erst überlegte ich, eine Art Hochzeitstorte zu machen,
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