fühlen.
„Diese Statue schenkt Leben“, erklärte die Frau mit gebrochener Stimme. Sie wandte sich Talon zu. Neben ihnen beiden befand sich nur der Vermummte mit der Fackel im Gang. Er hatte das Schauspiel gleichmütig betrachtet.
„Aber sie schenkt nicht genug Leben für alle“, fuhr sie fort. „Nicht so viel, um uns auf Dauer zu heilen. Wir wissen selbst nicht, ob wir uns damit trösten oder uns quälen, wenn wir hierher kommen und für einen Augenblick das Leben in unserem Körper spüren wollen. Doch die Hoffnung, dass der Fetisch uns irgendwie … helfen könnte, hält uns hier fest.“
Sie packte ihn bei der Schulter.
„Doch nun bist du hier! Du wirst uns helfen!“ Es war keine Frage. Das war eine heftige Feststellung, die keinen Widerspruch erlaubte.
„Ich habe keine magischen Fähigkeiten!“, entgegnete Talon. „Was kann ich schon für euch tun? Auch für mich sind diese Kräfte ein Geheimnis.“
„Du kannst uns zum Tempel zurückbringen“, redete die Vermummte beschwörend auf ihn ein. „Uns alle. Du kannst dem schwarzen Löwen sagen, er soll uns heilen! Danach werden wir nach Hause gehen. Er soll uns nur heilen! Nichts anderes!“ Die letzten Worte schrie sie dem Mann aus dem Dschungel förmlich entgegen. Gleichzeitig nahmen ihre Augen eine Kälte an, die bar jeden Lebens war.
„Oder wir verlassen die Zuflucht und nehmen die Statue mit. Und es werden dann keine Pflanzen sein, die wir berühren werden …“
„Willst du wirklich weitermachen?“, rief der untersetzte Afrikaner müde und griff nach einer Flasche mit abgestandenem Wasser. Er streckte seinen Rücken durch und machte es sich auf dem Beifahrersitz des Rovers so bequem wie möglich, während er zu seiner Begleiterin hinüber sah, die sich außerhalb des Wagens aufhielt.
Die junge Frau nahm den breitkrempigen Hut ab uns lockerte ihre verschwitzten brünetten, gewellten Haare mit den Fingern auf. Begeistert blickte sie auf die lang gezogene Allee aus steinernen Stelen, die der Witterung seit Jahrtausenden trotzen mussten. Alice Struuten schickte ein Lächeln ins Wageninnere.
„Meinst du, ich höre jetzt auf? Wir haben Wochen gebraucht, um diese Stelle zu finden. Irre - ich dachte immer, ich hätte ein gutes Orientierungsvermögen. Aber langsam habe ich schon geglaubt, ich hätte das damals alles nur geträumt.“
Pierre Abidjou legte die Flasche auf die Ablage und seufzte vernehmlich.
„Wir haben noch genügend Sprit bis morgen. Danach reicht die Reserve nur, um gerade noch zurück nach Djema zu kommen“, appellierte er an die Vernunft der Südafrikanerin und hoffte, dass sie darauf eingehen würde.
„Das reicht“, erklärte sie ihm. „Sobald wir dieses Gebiet durchquert haben, müssen wir sowieso zu Fuß weiter. Wir stellen den Rover dann einfach ab.“
„Das ist nicht dein Ernst!“, erwiderte der Afrikaner nicht nur mit gespieltem Entsetzen. „Keiner kennt dieses Gebiet! Keiner geht da freiwillig rein. Das ist tabu!“
„Pierre, du wirst mir doch nicht sagen wollen, dass du Angst vor den alten Schauermärchen hast.“ Alice warf ihm einen zweifelnden Blick zu. „Ich war dort, und ich weiß, was uns dort erwartet.“
Sie schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln und schob sich auf den Fahrersitz. Alice hütete sich wohlweislich davor, ihm zu erzählen, dass sie genau diese Schauermärchen am eigenen Leib erlebt hatte …
Fortsetzung folgt in
Talon Nummer 24
„Die Dunkelheit in uns“
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Talon erscheint als eBook kostenlos auf www.talon-abenteuer.de