Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
zumindest.«
Andrej dachte an das Ding in sich und musste ein Schaudern unterdrücken. Die Kreatur, die sich in seiner Seele eingenistet hatte und an
seiner Menschlichkeit nagte und saugte und ihn zu etwas… anderem zu machen versuchte, hatte nichts Menschliches an sich. Keine noch
so grausame Natur konnte wollen, dass sich die Menschen zu so etwas entwickelten.
»Nicht alle erliegen dem Bösen, Andrej«, sagte Meruhe. Sie bat ihn
mit einem stummen Blick um Verzeihung, dass sie schon wieder
seine Gedanken belauscht hatte. »Manche, ja. Viel zu viele, fürchte
ich. Die Verlockung des Bösen ist groß. Es ist leichter, zu zerstören,
als etwas zu erschaffen, und es ist leichter, sich einfach alles zu nehmen, was man will - und manchmal reicht ein einziger Moment der
Unaufmerksamkeit, um zu unterliegen. Aber das gilt nicht nur für
uns. Auch viele der so genannten normalen Menschen sind dieser
Verlockung erlegen. Du fürchtest das, was in dir ist, weil du seine
Macht spürst und seine Grausamkeit, und du fürchtest es zu Recht.
Aber es ist in jedem Menschen, glaub mir. Nur ist es in dir stärker,
weil auch du stärker bist.«
Andrej dachte an Ali Jhin, an Faruk und an viele andere, denen er
begegnet war, und wusste, dass sie Recht hatte. Dennoch sträubte
sich alles in ihm dagegen, diesen Gedanken zu akzeptieren.
»Dann bist du… und Seth und die anderen«, begann Andrej stockend, »das, wozu ich eines Tages werde?« Der Gedanke ließ ihn
erschauern.
»Vielleicht«, antwortete Meruhe. »Es ist eine Reise, Andrej. Eine
sehr lange und mühevolle Reise, und es lauern viele Gefahren am
Wegesrand. Dinge, die du dir bis heute noch nicht einmal vorstellen kannst. Ich bin vielleicht schon ein Stück weiter auf diesem Weg,
aber auch ich weiß nicht, wohin er führt und was mich an seinem
Ende erwartet.«
»Und das ist alles?«, fragte Andrej.
»Es ist mehr, als du begreifen kannst. Ich bin nicht sicher, ob es
richtig war, dir dies alles zu erzählen. Manche zerbrechen an diesem
Wissen. Aber du bist stark. Du wirst es verstehen.«
»Und Abu Dun?«, fragte Andrej.
»Es ist deine Entscheidung, ob du es ihm sagst«, erwiderte Meruhe,
lächelnd. »Auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass du es sowieso tun
wirst, ganz egal, was ich sage.«
Andrej hob die Schultern. Vielleicht hatte sie schon wieder seine
Gedanken gelesen, vielleicht war das in diesem speziellen Fall aber
auch gar nicht nötig.
»Stimmt«, sagte Meruhe.
Andrej starrte sie finster an, aber dann begann Meruhe zu lachen,
und er konnte einfach nicht anders, als in dieses Lachen einzustimmen. Vielleicht hatte sie ihm doch mehr geholfen, als ihm im Moment klar war.
»Dieser Seth und die anderen«, sagte er, nachdem sie wieder halbwegs zu Atem gekommen waren. »Was wollen sie von dir?«
»Mich«, antwortete Meruhe. »Was sonst? Erinnerst du dich an die
Sklavenhändler, von denen ich euch erzählt habe? Nicht Ali Jhin und
seine Mörderbande, sondern die, in deren Diensten sie stehen?«
Andrej erinnerte sich. Er erinnerte sich auch an das, was Abu Dun
ihm über die geheimnisvollen Herren der Sklavenhändler erzählt
hatte, und seine jahrelange vergebliche Suche nach ihnen. Er runzelte
die Stirn. »Du meinst, Seth und die anderen, die so sind wie er…?«
»Sie sind die Herren der Sklavenkarawanen, ja«, bestätigte Meruhe.
»Seit Jahrhunderten schon. Und so lange setzen sie die Sklavenhändler auch schon als Werkzeug für ihre Suche ein.«
»Und sie wollen dich?«, murmelte Andrej ungläubig. »Als Sklavin?« Das konnte er unmöglich glauben.
»Nicht als Sklavin«, verbesserte ihn Meruhe sanft. »Sie wollen,
dass ich zu ihnen zurückkomme. Ich habe einmal zu ihnen gehört,
Andrej.«
»Du?« Hätte sie ihn ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen, hätte es ihn nicht härter treffen können.
»Es steht mir nicht zu, über Seth und die anderen zu urteilen«, sagte
Meruhe leise, »denn es gab eine Zeit, da habe ich genauso gedacht
wie sie. Es ist leicht, so zu denken, wenn man so viel länger lebt.
Was zählt schon das Leben einer Eintagsfliege, oder der Schmerz
einer Ameise? Ihr Leben erlischt in einem Augenblick. Sie sind völlig unbedeutend, wenn man so lange zu leben hat.«
»Das ist zynisch«, murmelte Andrej erschüttert. Nicht einmal wegen dieses Gedankens, sondern weil es Meruhe war, die ihn dachte.
»Wenn du lange genug lebst, um zuzusehen, wie Gebirge entstehen
und wieder verschwinden, dann bekommen die Dinge ein anderes
Gewicht. Glaub

Weitere Kostenlose Bücher