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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ich war auch da schon alt.«
Andrej konnte nicht anders, als die schwarzhäutige Fremde aus weit
aufgerissenen Augen anzustarren. Er hatte die riesigen Bauwerke
gesehen, von denen Meruhe sprach, und er erschauerte selbst jetzt
noch bei der bloßen Erinnerung daran. Die gewaltigen, von Menschenhand geschaffenen Pyramiden waren so alt, dass er ihr Alter
regelrecht hatte fühlen können, so als hätte etwas Uraltes und Machtvolles seine Seele gestreift. Niemand wusste genau, wie alt die drei
monströsen Pyramiden wirklich waren, aber sie waren alt; unvorstellbar alt. Und Meruhe behauptete, sie sei älter als diese Bauten?
»Es ist wahr«, sagte Meruhe, als hätte sie seine Zweifel gespürt.
Und jetzt wusste er, dass sie seine Gedanken las.
»Nur, wenn sie so intensiv sind wie jetzt«, sagte sie. »Und niemals
ohne deine Erlaubnis.« Sie lächelte ein bisschen verlegen. »Na ja,
normalerweise wenigstens.«
»Dann… dann weißt du, was ich von dir wissen will«, murmelte
Andrej.
»Du willst wissen, wer du bist«, bestätigte Meruhe. »Woher wir
kommen und wieso wir zu dem geworden sind, was wir sind. Abu
Dun und du, ihr seid auf der Suche nach dem Geheimnis eurer Herkunft, und deswegen seid ihr auch in das Land seiner Väter aufgebrochen. Aber um das herauszufinden, muss man keine Gedanken
lesen können.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht und
erlosch wieder. »Jeder stellt diese Fragen, früher oder später, und
jeder macht sich irgendwann auf die Suche.«
»Und findet etwas?«
»Manche«, antwortete Meruhe. »Manche auch nur den Tod. Und so
mancher wünscht sich, er hätte niemals gefragt.«
»Aber du kennst das Geheimnis«, beharrte Andrej. Warum sagte sie es ihm nicht einfach?
»Niemand weiß ganz genau, was es ist, was uns von den Sterblichen unterscheidet. Es beginnt immer gleich, mit Fieber und
Schmerzen und der Berührung des Todes, bei jedem von uns. Manche von uns glauben, dass es nichts anderes als eine Krankheit ist,
ein böser Scherz, den sich die Natur oder die Götter mit uns erlaubt
haben.« Meruhe hob die Hand, als Andrej etwas sagen wollte, und
fuhr kopfschüttelnd fort: »Aber ich glaube das nicht. Es wäre eine
gar zu große Banalität für etwas so Großes und Wertvolles wie das,
was uns geschenkt worden ist. Wenn es die Götter wirklich gibt,
dann mögen sie grausam und willkürlich sein, aber sie hätten uns
dieses Geschenk nicht gemacht, wenn es keinen Grund dafür gäbe.«
»Was sollte dieser Grund sein?«, fragte Andrej. Er erwartete nicht
wirklich eine Antwort auf diese Frage, und da Meruhe das wusste,
bekam er auch keine. Die Worte waren nur Ausdruck seiner Hilflosigkeit und einer tiefen Enttäuschung, die allmählich in ihm zu erwachen begann. Er glaubte nicht an die Existenz von Göttern, und wenn
es sie doch gab, waren sie ihm gleich, denn dann hatte Meruhe
Recht, und sie waren grausam und willkürlich. Er starrte Meruhe an
und hatte das Gefühl, dass sich ein Abgrund unter ihm auftat, in den
er langsam hineinzufallen begann. Seit so langer Zeit waren sie auf
der Suche gewesen, und nun sollte alles umsonst gewesen sein?
Auch Meruhe wusste nicht, was mit ihnen geschehen war.
»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete Meruhe sanft auf seine
nicht laut ausgesprochene Frage. Ihre Hand berührte seinen Unterarm, doch diesmal war es nur eine ganz normale, menschliche Geste.
Aber vielleicht tat sie gerade deshalb umso wohler, denn sie schien
ihm eine Kraft und ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln, das
auf eine sonderbare Art beinahe stärker war als alles, was Meruhe
ihm zuvor gegeben hatte.
»Mir… wäre lieber, wenn du aufhören würdest, mich zu belauschen«, sagte er stockend.
»Selbstverständlich«, sagte Meruhe. »Bitte verzeih. Aber du hast
Unrecht. Ich habe gesagt, dass ich nicht genau weiß, was Menschen
wie uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind, und das ist wahr.
Schließlich weiß auch niemand, was es genau ist, das den Menschen
über das Tier erhebt - die meisten jedenfalls«, fügte sie mit einem
flüchtigen Lächeln hinzu, wurde aber sofort wieder ernst. »Niemand
weiß, wann es den Ersten von uns gegeben hat, und wo er hergekommen ist. Einige von uns - wie Seth - sind älter als das Land, auf
dem wir stehen. Wir waren schon immer da, solange es Menschen
gibt. Vielleicht sind wir gar nicht so anders, wie die Sterblichen
glauben. Vielleicht ist es einfach das, was aus den Menschen werden
soll. Aus einigen

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