Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande
Augenblick später wurde der Meuchelmörder, nur mit Hose und Hemd bekleidet und den Sack Gold in der Hand, durch die nächsten Türen geführt und verschwand im Tempelgebäude. Im Vorraum sammelte Jarlaxle die Habe seines Freundes ein und steckte alles in einen Sack.
Gositek bedeutete dem Elf und dem Zwerg, wieder nach draußen zu gehen.
Aber Jarlaxle beugte sich zu dem stotternden Priester vor und flüsterte: »Wo dieser Sack mit Gold herkam, gibt es noch viele weitere.« Als Gositek mit offensichtlichem Interesse reagierte, griff der Drow hinter sich und zog die Tür nach draußen zu. »Lasst es mich erklären«, sagte er freundlich.
Einen Augenblick später sah die unruhige Menge den Frommen Gositek aus dem Tempel kommen. »Kümmert euch um diese Leute«, wies er den Schreiber und die beiden Wachen an.
Die Bittsteller begannen zu protestieren, aber der Priester hob den Arm und brachte sie mit einem strengen Blick zum Schweigen. Dann verschwand er wieder in dem Gebäude.
Als die beiden Wachen, deren schwere Rüstungen laut klapperten, ihn durch den Palast führten, der als das Haus der Beschützerin bekannt war, fühlte sich Artemis Entreri an seine Tage in Calimhafen erinnert, als er noch dem berüchtigten Pascha Basadoni gedient hatte. Denn nur dort hatte er zuvor so viel Gold und Silber gesehen, so viele Gegenstände aus Platin und Wandbehänge, die von den größten Künstlern ihrer Zeit gewebt worden waren. Nur dort hatte er solche Großartigkeit erblickt, so viel gehorteten Wohlstand. Die protzige Dekoration überraschte ihn jedoch kaum. Jedes einzelne hinreißende Gemälde, jede Skulptur war mehr Geld wert, als die Hälfte der Leute draußen auf dem Platz in ihrem ganzen Leben erwirtschaften konnte, selbst wenn sie alles zusammenlegten, was sie hatten.
Entreri kannte so etwas nur zu gut. Reichtum floss stets hügelaufwärts und in die Hände von wenigen. So war es auf der Welt, und ob die Paschas von Calimhafen den Prozess durch Drohungen und Einschüchterung beschleunigten oder diese Priester ihre subtileren und tückischeren Möglichkeiten der Erpressung anwandten, es überraschte ihn schon lange nicht mehr. Und es war ihm auch egal, bis auf ...
Bis auf die Tatsache, dass eine bestimmte Art von Besitz, die eine gewisse Person seiner Mutter abgenommen hatte, etwas sehr Persönliches gewesen war. Und dass man seine Mutter danach vergessen hatte, verscharrt auf einem Friedhof, der vor den Blicken der Stadt verborgen war.
Er sah die Wachen an, die links und rechts von ihm gingen. Er wusste, das hier war sein letzter Weg. Sein letzter Tag.
Es sollte so sein.
Er kam in eine große Halle, deren Decke über vierzig Fuß hoch war und von riesigen Säulen gestützt wurde, die sich in zwei Reihen durch den gesamten Raum zogen, alle mit Blattgold verziert. Zwischen ihnen lag ein langer, schmaler, leuchtend roter Teppich, flankiert von Soldaten der Kirche in schimmernder Rüstung und mit beinahe doppelt mannshohen Hellebarden, die mit den Farben des Oberpriesters und seiner Göttin Selûne geschmückt waren.
Am Ende des Teppichs, vielleicht dreißig Schritte entfernt, saß Oberpriester Yinochek, die Wahrhaft Gesegnete Stimme Selûnes, auf einem Thron aus poliertem Hartholz mit weißen Kissen, die mit rosafarbenen und roten Streifen verziert waren. Er trug ein weites, mit Goldfäden besticktes Gewand, und eine Krone aus hinreißenden Edelsteinen saß auf seinem Kopf. Entreri sah, dass er in der Tat um die sechzig Jahre alt sein musste, obwohl seine Augen immer noch klar waren und sein Körper fest und muskulös. Er glaubte sogar, etwas von seinen eigenen Zügen bei dem Mann zu erkennen, wischte diesen unbehaglichen Gedanken aber schnell beiseite.
Vor dem Thron standen drei Priester, zwei rechts und einer links, und alle vollzogen eine halbe Drehung, um dem Mann mit seinem Sack mit Gold entgegenzuschauen.
Entreri spürte das Gewicht ihrer Blicke – ihr Misstrauen stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben –, und einen Moment lang befürchtete er, dass seine Absichten ihm viel zu deutlich anzusehen waren. Der Draht aus dem Hutband drückte, und er hätte sich beinahe vergessen und nach oben gegriffen, um ihn unter seinem schwarzen Haar zurechtzurücken.
Aber er bremste sich, und dann musste er über sich selbst lächeln, als er den Kopf schüttelte, sich umsah und sich daran erinnerte, dass er schon lange nicht mehr das arme Bastardkind von den schmutzigen Straßen dieser Stadt war.
»Ich bin
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