Die Vergessenen
rebellisch, zornig. Er wich an die Fahrzeugwand zurück und traf Anstalten, die Füße unter sich zu ziehen. Sharn sah einfach nur erschöpft aus und lag mit dem Kopf am Boden da, während sich eine Blutlache rings um ihn bildete.
»Erklärt mir, warum ich nicht abdrücken sollte«, verlangte Jem.
Blitz starrte ihn weiterhin mit kaum beherrschtem Hass an und machte sich anscheinend bereit, etwas Dummes anzustellen. Sanders antwortete: »Weil du besser bist als sie. Wir übergeben sie einfach der Polizei – soll sie die Sache klären.«
Die Sache klären.
Ganz wie in Shrees Fall, ja. Die beiden hatten sich der Entführung, des versuchten Mordes und des Mordes schuldig gemacht, und sobald man sie für schuldig befunden hatte, wie es zweifellos geschehen würde, würde man ihren Verstand löschen, sie aus der Existenz streichen. Völlig richtig. Diese beiden Männer hatten zusammen mit ihrem Vater und ihrem Bruder Kalash die Kapuzler auf die Wegstation Bradacken gehetzt, und sie hatten Chanter umgebracht. Es dürfte keine Gnade für sie geben. Erst jetzt fragte sich Jem nach dem Grund, warum er sie in den Gravovan gezerrt hatte, und er stellte fest, dass er des Hasses müde war, so müde. Er traf Anstalten, die Waffe zu senken.
Etwas krachte in die Flanke des Gravovans und schleuderte diesen pendelnd durch die Luft, und vier gleichmäßige Furchen wurden aus dem Innenraum heraus in der Karosserie erkennbar. Ein weiterer Aufprall erfolgte beim Emporfliegen am Unterboden, erzeugte eine Beule unterhalb Jems und entlockte dem Gravomotor ein seltsames Jaulen. Jem taumelte, griff nach der Türkante, um sich Halt zu verschaffen, und eine gedankliche Tiefenströmung erklärte ihm derweil, dass er einfach wusste, was als Nächstes geschehen würde. Blitz warf sich nach vorn, rammte Jem den Kopf in den Magen, griff nach der Pistole und versuchte, sie an sich zu bringen. Im Versuch, sie ihm wieder zu entreißen, warf Jem ihn herum und knallte ihn an die Fahrzeugwand. Etwas krachte wie von einer Explosion, und die gesamte getäfelte Flanke des Vans schälte sich ab, und der Wind fegte tosend herein. Blitz fiel hinaus, und da er sich weiter an die Pistole klammerte, zog er Jem mit.
»Sie hält uns fest, verdammt!«, schrie Grant und rang mit der Steuerung.
Jem hing an der Seite des Fahrzeugs, ein Bein um eine verbliebene Strebe geschlungen, um nicht abzustürzen – was er für die Geringste seiner Sorgen hielt. Der unter ihm hängende Blitz klammerte sich nach wie vor an die Pistole und versuchte, den Lauf auf Jem zu richten.
Blitz hätte sich einfach festhalten sollen, um sich zu retten, aber es schien ihm so viel wichtiger, Jem umzubringen. Kein Frieden, keine Vergebung war hier möglich. Der Mann hasste das, was Jem schon lange nicht mehr war, und konnte nichts anderes sehen. Blitz hatte diesen Hass mit der Muttermilch eingesogen und war kaum mehr als eine mentale Kopie seines Vaters. Jem blickte zur Schnatterente hinüber, die sich auf volle Höhe gereckt hatte, sodass sie an eine mächtige knorrige Eiche erinnerte, abgesehen von dem riesigen bibbernden Sack ihres Bauches. Er begegnete ihrem Blick, und für einen kurzen Augenblick schien es, als verständigten sie sich.
Eine tiefe Ruhe erfüllte Jem, während er die Waffe drehte, sodass der Lauf aufs eigene Gesicht zielte. Warum nicht? WelcheBedeutung hatte irgendwas davon? Blitz verlor den Halt, als eine schwarze Klaue heranfegte und sich um seine Beine schloss – nachdem sie den Gravovan losgelassen hatte. Blitz führte einen Finger an den Abzug und drückte ab. Die Waffe klickte und summte, und eine rote Lampe leuchtete auf und zeigte, dass keine Ladung mehr vorhanden war. Nachdem Blitz schon den Griff um die Pistole gelockert hatte, um abzudrücken, verlor er jetzt ganz den Halt und stürzte brüllend ab.
Jem hing dort, während der Gravovan höher stieg, und die Gelassenheit schwand rasch. Vergessen war so leicht zu wählen, und zu leicht, wenn man gar keine Wahl mehr hatte, wie im Fall Sharns, der zu dem Zeitpunkt, als sich Sanders widerstrebend über ihn bückte, schon auf dem Fahrzeugboden verblutet war.
Sie kehrten nach Dragon Down zurück, zumeist schweigend, von einem kurzen Wortwechsel abgesehen.
»Also, was hast du jetzt vor?«, fragte Sanders.
Jem dachte über die Söhne Ripple-Johns nach, denen der Hass schon eingeprägt worden war, während sich ihr Denken entwickelte. Er dachte über Shree nach, die den Krieg, der sie definierte, einfach nicht
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