Die verlorene Bibliothek: Thriller
an glänzenden Fassaden, Entspannungsbereichen und Konferenzräumen. Die Führerin versorgte sie weiterhin mit detaillierten Kommentaren zu dem, was sie sahen, doch nach ein paar Minuten konnte Emily schlicht nicht noch mehr staunen. Dieser Ort war fantastisch. Beeindruckend. Unvergleichlich. Aber sie war nicht als Touristin hier, und je mehr Fakten die Führerin erklärte, desto unmöglicher kam Emily ihr Projekt vor. Selbst wenn sie genau gewusst hätte, wonach sie suchte, es wäre eine gewaltige Aufgabe gewesen, es in diesem Gebäude zu finden.
Ich muss mich selbstständig machen. Emily handelte rasch. Einen Augenblick später, als die Touristengruppe um eine Ecke bog, blieb Emily zurück. Die Stimme der Studentin verhallte in der Ferne, und Emily stand allein zwischen sechshunderttausend Büchern.
KAPITEL VIERUNDFÜNFZIG
10:35 U HR
»… der Hauptlesesaal, in dem wir gerade stehen, erstreckt sich über sieben Stockwerke … «
Die beiden Männer hörten der jungen Studentin nur insoweit zu, wie es nötig war, um einen angemessenen Sicherheitsabstand abschätzen zu können. Sie hatten keine Zeit gehabt, sich nach ihrer Ankunft umzuziehen, und ihre schwarzgrauen Anzüge, die so hervorragend nach Oxford gepasst hatten, erregten in Ägypten nur unnötig Verdacht. Also war es besser, ein wenig Abstand zu wahren, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Sorgfältig achteten sie darauf, dass immer zwei Regalreihen zwischen ihnen und der Touristengruppe waren. Sie taten so, als würden sie die Regale nach alten Büchern absuchen, und dann und wann nahmen sie sogar eins heraus und blätterten es mit gespieltem Interesse durch. Doch ihre Aufmerksamkeit galt nur ihrem Ziel: der jungen Frau, die sie von Oxford bis hierher verfolgt hatten.
Dr. Emily Wess, deren genaue Verbindung zum Bewahrer noch immer ein Rätsel für sie war; doch dass sie etwas mit der Bibliothek zu tun hatte, stand nun außer Frage. Emily Wess, deren Flug von London hierher eine Stunde länger gedauert hatte als der der beiden Freunde in ihrem Privatjet, weshalb es ihnen nicht schwergefallen war, die Verfolgung sofort nach der Landung aufzunehmen. Emily Wess, die nun auf Schritt und Tritt beobachtet wurde und deren Leben in den Fokus des Rates geraten war. Doch sie wurde nicht nur beschattet. Während sie hier durch die Gänge lief, durchsuchte ein Team in Minnesota ihre Wohnung auf Hinweise.
Der zweite Mann schaute über ein aufgeschlagenes Buch hinweg zum ersten. Auch er hatte gesehen, wie sich ihr Ziel aus der Touristengruppe gelöst hatte. Sie war allein, ein Zugriff möglich.
Wart e, ermahnte Jason sich und wusste, dass sein Blick das auch seinem Kollegen sagen würde. Wart e, un d folge ihr. Nicht angehen.
Ihre Männer waren überall in der Bibliothek verteilt, dicht bei den vier Angestellten, die der Rat schon seit Monaten überwachen ließ. Jeder dieser Männer galt als möglicher geheimer Bibliothekar hier in Alexandria. Sie wussten, dass ihre Feinde, die Gesellschaft der Bibliothekare, einen Agenten in der Stadt hatten – das war schon seit Jahren klar –, und nach und nach hatten sie immer mehr Verdächtige ausschließen können, bis nur noch diese vier übriggeblieben waren. Bis jetzt hatte der Rat jedoch keine Beweise dafür, um wen der vier es sich genau handelte. Doch dieses Problem würde sich schon bald von selbst erledigen. Emily Wess musste nur zu demjenigen gehen, zu dem der Bewahrer sie geführt hatte, und dann hatten sie ihn. Ein Bibliothekar an diesem prominenten Ort musste ein hochrangiges Mitglied der Gesellschaft sein, jemand, aus dem der Rat Informationen herauspressen konnte. Und Emily Wess würde sie direkt zu ihm führen. Und dann, wenn das alles war, was sie wusste, konnten sie ihr auch noch das Leben nehmen.
KAPITEL FÜNFUNDFÜNFZIG
10:40 U HR
Das Schwierigste war, den Anfang zu finden. Allein die schiere Größe der Bibliothek machte jede Entscheidung willkürlich, aber irgendwo musste Emily ja anfangen. Sie stieg die kleine Treppe hinauf, die ihre Touristengruppe vor wenigen Minuten heruntergekommen war, und ging zu einem Plexiglaskasten, in dem ein Plan des Lesesaals hing. Sie holte ihr Blackberry aus der Tasche, schaltete das Display ein und rief das Bild der Kritzelei auf, die sie in Oxford fotografiert hatte.
Ich habe Ptolemäus’ Erbe gefunden , dachte sie und las noch mal die erste eingravierte Zeile. Darunter standen drei Worte, von denen Emily glaubte, dass sie sich auf einen Ort irgendwo hier
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