Die verlorene Bibliothek: Thriller
Insgesamt hatte es fünfzehn aufeinanderfolgende Könige mit Namen Ptolemäus gegeben und mindestens die doppelte Zahl davon an Feldherren, Prinzen und Fürsten. Jeder von ihnen hatte seine eigene Geschichte, und Emily war sicher, dass es zu jedem von ihnen Bücher gab.
Das führt mich nirgendwohin.
Emily hielt kurze inne, bevor sie wieder auf die vierte Ebene stieg, und ging zu einer kleinen Stuhlgruppe auf dem Treppenabsatz. Jedes Mal alles zu durchsuchen, wenn sie eine Idee hatte, war kontraproduktiv. Sie musste erst einmal nachdenken.
Emily ließ sich so tief es ging in den blaugrauen Stuhl sinken, legte den Kopf zurück, und das Sonnenlicht von oben blendete alles um sie herum aus. Erneut schloss sie die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren.
Die Hinweise in Oxford waren ein Täuschungsmanöver , überlegte sie. Ihre Formulierung war präzise, sodass sie einen beim ersten Lesen unweigerlich in die Irre führen mussten. Sie holte ihr Handy heraus und starrte zum hundertsten Mal auf das Foto aus der Kapelle.
Ptolemäus’ Erbe . Emily dachte an das zurück, was Wexler zu dem Wort ›Erbe‹ bemerkt hatte: Seiner Logik zufolge musste es sich dabei um etwas handeln, was wir noch heute besitzen, und nicht um etwas aus der Vergangenheit. Dieser Hinweis hatte sie hierhergeführt. Vielleicht sollte sie ihn ja noch einmal berücksichtigen und ihre Herangehensweise entsprechend ändern. Anstatt die Bibliothek nach etwas abzusuchen, das ein Schlüsselelement von Ptolemäus’ Erbe enthielt, dachte Emily bei sich, konnte man ja auch die Bibliothek als Ganzes als sein Erbe betrachten. Ich sitze mittendrin . Sie öffnete die Augen wieder und schaute sich um. Was an diesem Ort verbindet die drei Begriffe miteinander?
Eine Frau an einem Computerterminal in der Nähe hämmerte auf ihre Tastatur, und Musik drang aus den weißen Kopfhörern, die sie sich in die Ohren gesteckt hatte. Emily war nicht sicher, aber es sah so aus, als würde die Frau mitsummen. Musik, Summen, Tippen, Computerpiepen … Es war, als säße sie just in diesem Augenblick dort an diesem Computer, um Emily abzulenken.
Emily schloss die Augen, lehnte sich noch einmal auf dem Stuhl zurück und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
Und dann traf es sie wie ein Schlag.
Sonnenlicht! Licht von oben. Das ging nur unter einer einzigen Bedingung. Emily riss die Augen auf.
Glas! Das riesige schräge Dach war ein spektakuläres Netzwerk aus Glaspaneelen, durch die die ägyptische Sonne strömte. Und jedes dieser Paneele war in Granit eingerahmt, was das goldgelbe Licht in ein sanftes Grau verwandelte, das schlussendlich die Bibliothek erhellte.
Emily setzte sich auf. Glas, Sand, Licht . Sie schaute erneut auf ihr Blackberry, und plötzlich sah sie das Bild mit anderen Augen. Da war etwas, das sie bis jetzt übersehen hatte: Form. Wer auch immer die Botschaft in das antike Holz der Kapelle geschnitzt hatte, er hatte diese Worte nicht neben-, sondern untereinander angeordnet. ›Glas‹ stand nicht neben den anderen, sondern darüber.
G LAS S AND L ICHT
Emily schaute noch einmal zur Decke hinauf. Hier, mitten in Ptolemäus’ Erbe, stand Glas über allem.
Könnten diese Worte eine Karte sein? Ein schlichter Plan, dem sie folgen sollte?
Das Dach der Bibliothek bestand aus Glas, und sie war auf ägyptischem Sand gebaut. Emily schaute sich das Foto wieder an. Unter dem Sand … Licht.
Ich muss in den Keller .
KAPITEL SECHSUNDFÜNFZIG
11:00 U HR
Während Emily eine Treppe nach der anderen hinuntersprang und dann und wann zwischen den Regalen hindurchhuschte, um nicht die Aufmerksamkeit der Kuratoren oder eines Lesers zu erregen, wurde sie sich ihrer Sache mit jedem Schritt sicherer. Die drei Worte auf ihrem Foto waren ein Plan, der ihr sagte, sie solle in jenen Teil des Gebäudes gehen, der unter dem Sand lag, unter dem Erdgeschoss. Dort – da war sie sich sicher – würde sie dann das ›Licht‹ finden, denn das war das unterste Wort. Und wie jeder Historiker wusste, war Licht in nahezu jeder Kultur der Welt ein Symbol für die Wahrheit.
Die Wahrheit liegt unter diesen Mauern .
Als sie sich dem Erdgeschoss näherte, lief Emily immer schneller. Hier unten sah es aus wie überall sonst auch: Bücher, Tische, Computer.
Unten angelangt lief Emily zwischen den Regalen hindurch zur rückwärtigen Wand. Hier war es deutlich dunkler, da nur noch Licht von den in die Regale eingelassenen Lampen kam.
Emily erreichte die Außenwand des Lesesaals.
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