Die verlorene Bibliothek: Thriller
Sie war weiß getüncht und sauber. Hier und da hingen Porträts und Poster, und es gab drei große Holztüren: eine links, eine rechts und eine in der Mitte. Emily folgte ihrem Instinkt und ging zur linken Tür. Sie drückte die Klinge herunter. Abgeschlossen .
Dann stand sie vor der mittleren Tür. Sie sah genauso aus wie die erste und war ebenfalls abgeschlossen. Dennoch war Emily sich ihrer Sache weiter sicher. Zweimal hatte sie Pech gehabt, doch sie war noch immer fest davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein.
Als sie sich der dritten Tür näherte, schlug ihr das Herz bis zum Hals.
Das Zeichen, das sie suchte, wartete dort auf sie.
In der oberen Ecke der Tür war ein Symbol in den Lack gekratzt, das sie inzwischen nur allzu gut kannte: das Wappen der Bibliothek. Emily gestattete sich ein selbstbewusstes Lächeln und legte die Hand auf die Klinke …
… und diesmal öffnete sich die Tür.
KAPITEL SIEBENUNDFÜNFZIG
Z UR SELBEN Z EIT – N ORTHFIELD , M INNESOTA 3:00 U HR CST
Die drei Männer hatten alles in dem kleinen Haus auf den Kopf gestellt, das Dr. Emily Wess nicht weit vom Campus des Carleton College entfernt gemietet hatte. Die Sofakissen waren ebenso aufgeschnitten worden wie die Matratze. Sie hatten den Teppichboden rausgerissen und die Tapete von den Wänden geschabt, um mögliche Verstecke dahinter zu finden. Wenn der Sekretär den Freunden eine ›gründliche‹ Durchsuchung befahl, dann hieß das, dass alles auseinandergenommen werden musste.
Und das hatten die Freunde auch getan, doch die Suche hatte nichts erbracht. Da war nichts, nicht ein Gegenstand in Emily Wess’ Heim, das auf eine Verbindung zur Bibliothek oder zu ihrem Bewahrer hingedeutet hätte. Es gab nur eine Privatbibliothek, die jedoch nichts Untypisches für eine Dozentin enthielt, außer vielleicht einer ungewöhnlichen Zahl von Büchern über Oxford, was von Emily Wess’ Liebe zu ihrer alten Uni zeugte. Bücher über die Geschichte der Universität, ihre Architektur und Kultur nahmen fast drei ganze Regalböden im Wohnzimmer ein.
Wie befohlen hatten die Männer die Festplatte aus Emilys Computer ausgebaut und sie zusammen mit ihren Büchern eingepackt. Sollte dort etwas verborgen sein, würde ihre Außenstelle in Minneapolis das schon finden.
Und alle drei Männer hofften, dass sie auch tatsächlich etwas finden würden. Für den Sekretär waren keine Neuigkeiten schlechte Neuigkeiten.
Einer der Männer klappte sein Handy auf und drückte eine Kurzwahltaste. Einen Augenblick später kam die Verbindung zustande.
»Sind Sie fertig?«, lautete die Frage vom anderen Ende der Leitung.
»Ja. Wir haben nichts gefunden. Das Haus sieht sauber aus. In einer Stunde sind ihre Bücher und der Computer im Labor.« Der Freund ließ seinen Blick über das Trümmerfeld schweifen, das einst Emily Wess’ Heim gewesen war, fest davon überzeugt, dass sie nichts übersehen hatten.
Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch.
»Und Sie … Sind Sie vor Ort?«, fragte er.
»Wir sind gerade bei ihm angekommen«, lautete die Antwort.
»Gut«, antwortete der Mann. »Erstatten Sie sofort Bericht, wenn Sie von dem Verlobten herausbekommen haben, was wir brauchen.«
»Natürlich.«
Und damit war das Gespräch beendet.
In Chicago setzten die beiden Freunde ein gleichgültiges Gesicht auf, als sich die Aufzugtür im vierten Stock eines Apartmentblocks im Stadtzentrum öffnete. Ein paar Schritte später standen sie vor der Tür mit der Nummer 401. Einer der beiden Freunde klopfte.
»Wie war noch mal der Nachname?«, fragte sein Partner leise. In dem Verhör, das gleich folgen würde, musste er sich an ein striktes Protokoll halten. »Sag mir noch mal den Namen.«
»Torrance«, antwortete der andere Mann. »Der Name des Ziels ist Michael Torrance.«
KAPITEL ACHTUNDFÜNFZIG
11:05 U HR
Die Holztür schwang vollkommen geräuschlos auf, und hinter der weißen Wand im hinteren Teil des Erdgeschosses der Bibliothek bot sich Emily eine vollkommen andere Szenerie. Eine lange Rampe führte tiefer in den Bauch des Gebäudes hinab, und hier waren die Wände dunkelgrau. Schlichte Leuchtstoffröhren flackerten unter der Decke, ein krasser Gegensatz zu dem Lichtkunstwerk draußen. Auch der cremefarbene Teppichboden endete hier an einer Metallleiste. Jenseits davon gab es nur blanken Betonboden, auf dem Abrieb von den Gummirädern der Bücherkarren zu sehen war.
Das war ganz eindeutig der Eingang zum Arbeiterbereich der
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